Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
Es gibt viele Möglichkeiten, sich in der Kirche zu engagieren! Mehr Infos
Schulen, Kindergärten, Bildungshäuser und vieles mehr: Kirche ist ein wesentlicher Bildungsanbieter. mehr Infos
Viel beachtet und gut besucht war der Vortrag des Tübinger Experten Karl-Josef Kuschel von der Stiftung Weltethos am 18.7. in der Grazer Synagoge. Der Theologieprofessor erzählte zum Einstieg von einem Film, den er einst vor 25 Jahren in Tübingen sah: Noch vor der Veröffentlichung des Buches des Tübinger Theologen Hans Küng, „Projekt Weltethos“ (1990) war der Film von Oliver Stone „Wallstreet“. Kuschel zitierte aus der Rede des Finanzmaklers Gordon Gekko, gespielt von Michael Douglas: „Die Gier ist gut. Die Gier nach Leben, Geld, Wissen, Liebe hat die Entwicklung der Menschheit geprägt, so sagte das der Finanzmakler. Niemand konnte ahnen, dass die Wirklichkeit so schnell die Fiktion einhole.“
Drei weltweite Herausforderungen gäbe es, die klar machten, wie die Weltbinnenpolitik tickt, so Kuschel. Am 15. September 2008 läutete die Insolvenz der Bank Lehman Brothers die Finanzkrise ein. 75 Mrd. US-Dollar Schaden sei entstanden, rücksichtsloser Eigensinn einiger weniger stürze ganze Volkswirtschaften in den Abgrund. Das Datum sei historisch, denn „Zahlen, die man bisher nur aus der Astronomie kannte brachen in den Alltag der Menschen ein.“ Die Staatsschulden, ausgelöst durch die „Politik des billigen Geldes“, hätten sich im OSZE-Schnitt versiebenfacht, die Staatsschulden der EU-Länder durchschnittlich verzwölffacht. Die Rede von „toxischen Papieren“, „bad banks“ zeige ein „Zeitalter des Verfaulten“ an. „Was hat der Gigantomanismus mit Weltethos zu tun?“, fragte sich Kuschel. Schulden seien vordergründig nichts verwerfliches, solange man die Zinsen bezahlen kann und den Schuldenstand innerhalb seines Lebens abtragen kann. Aber die nun angehäuften Staatsschulden seien nur mehr auf Kosten der zukünftigen Generationen, des ungeborenen Lebens bewältigbar. „Wo bleibt hier der Schutz für das ungeborene Leben der Kirche?“, fragte Kuschel.
Eine zweite globale Herausforderung nach der ökonomischen sei eine technologische. Auch hierzu gäbe es ein historisches Datum. Am 11. März 2011 kam es zu Kernschmelzen im Atomkraftwerk von Fukushima. Die Katastrophe mache klar, dass die Atomenergie Belastungen in Form von Abfall, der aufwändig endgelagert werden muss, eine für zukünftige Generationen ist. „Wir leben unseren Wohlstand rücksichts- und gewissenlos auf Kosten der Kinder. Es gibt keine Solidarität mit den Kindern mehr. Es braucht nicht nur eine Ökonomie mit menschlichem Maß, sondern auch eine Technologie mit menschlichem Maß“, zeigte Kuschel auf.
Die dritte Herausforderung: Am 5. Februar 2003 trat US-Außenminister Colin Powell vor den UN-Weltsicherheitsrat mit Zeichnungen von Zeugen, die belegen hätten sollen, dass der Irak unter dem Diktator Saddam Hussein mobile Biolabors betreibe. Diese seien in der Lage, tausende Menschen zu töten. Powell, führender Militär des ersten Irakkrieges, konnte kein Mandat des Sicherheitsrates erringen, fand aber die breite Zustimmung zu einem weiteren Irakkrieg durch die Öffentlichkeit. Nur zwei Jahre später sprach Powell in einem Fernsehinterview davon, dass er durch den eigenen Geheimdienst enorm enttäuscht wurde. Es gab keine Beweise für biologische oder chemische Waffen im Irak. Eine Schande, die Powell bis an sein Lebensende begleiten werde. Ebenfalls seien die jüngst durch Edward Snowden bekannten Überwachungsprogramme von amerikanischen und britischen Geheimdiensten ein Beleg dafür, dass es eine massive Vertrauenskrise gäbe. Wem sei noch zu trauen? Das als Nervensystem der Welt bezeichnete Internet drohe zur Falle zu werden. Die digitale Welt und brauche Vertrauen wie auch die analoge.
Was können die Religionen beitragen, diesen globalen Herausforderungen zu begegnen? Religionen, die um das Absolute wissen, relativieren den Einzelnen. Im Buddhismus kennt man die Achtsamkeit gegenüber allem Leben. Juden, Christen und Muslime sprechen mit dem Buch Genesis von der Treuhänderschaft der Menschen für die Erde. „Es gibt religiöse Urworte, Gegenworte zu Gier und Rücksichtslosigkeit“, so Kuschel. Auch dürfe nicht verleugnet werden, dass Religionen eine Negativbilanz haben. Sie seien „ambivalent“. Dennoch könne man nicht von einer Austrocknung der Religion sprechen. Hans Joas habe dies durch seine Studien belegt. Weltweit ist eher eine Zunahme von Religion zu verzeichnen. Täglich wachse zum Beispiel das Christentum nicht allein durch Taufen um 23.000 Menschen. Ein Sechstel davon durch Konversion. Um 1900 gab es weltweit ungefähr zwei Millionen Muslime, hundert Jahre später habe sich diese Zahl auf 1,3 Milliarden erhöht, zählte Kuschel auf. Das führe zu folgendem Schluss: „Religionen sind ein Faktor der heutigen Weltpolitik, ob man sie nun mag oder nicht.“
Die Weltfamilie könne spirituelle Ressourcen aus den Religionen schöpfen, ist der Theologe überzeugt. Die Forderung der Reziprozität im Handeln, wie sie der Philosoph Immanuel Kant im ethischen Imperativ aufstellte, sei in jeder Religion enthalten. Im Matthäusevangelium 7,12 zum Beispiel: „Alles was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“. Dass Religionen auf eine ethische Dimension reduziert werde, beantwortet Kuschel mit einem klaren „Nein“. Es handle sich um gemeinsame Elementarforderungen. Der Streit der Religionen, ihr eigener Wahrheitsanspruch sei dafür sogar Voraussetzung. Kuschel forderte eine Kultur der wechselseitigen Achtsamkeit: „Partizipative Achtsamkeit gegenüber dem anderen“. Es gehe darum, vom Reichtum der anderen Religionen zu lernen. „Es gibt ein elementares Nichtwissen über die Religion des Mitmenschen. Eine Unachtsamkeit, eine Unkultur die sich zu einer Kultur der Achtsamkeit ändern muss.“
Dies führe zu einer wechselseitigen Anerkennung und schließlich zu Vertrauen. Gott die Ehre geben mache den Menschen nicht klein, sondern achtsam. Ein wirksames Mittel gegen die sieben Todsünden der modernen Gesellschaft von Mahatma Gandhi: „Reichtum ohne Arbeit, Genuss ohne Gewissen, Wissen ohne Charakter, Geschäft ohne Moral, Wissenschaft ohne Menschlichkeit, Religion ohne Opferbereitschaft und Politik ohne Prinzipien.“
Die interreligiöse Konferenz mache ihm Mut, sagte der Theologe, in zweifacher Hinsicht. Nach innen für alle jene, die jetzt bereits schon partizipatorische Achtsamkeit gegenüber anderen Religionen leben. Nach außen erwarte er sich von der „Grazer Erklärung“ ein klares Signal, dass religiöse Menschen eben nicht in einer Sonderwelt leben, sondern in dieser Welt für ein mehr an Miteinander stehen. Hierfür sei es immens wichtig, dass auch für die politische Verwertung und Verbreitung der „Grazer Erklärung“ gesorgt werde. Am Ende des Vortrages zitierte Kuschel den jüdischen Religionsphilosophen Abraham Joshua Heschel: „Keine Religion ist eine Insel. Wir sind alle miteinander verbunden. Geistlicher Verrat an einem von uns greift unser aller Glauben an. Ansichten, die von einer Gemeinschaft übernommen werden, haben Einfluss auf andere Gemeinschaften.“
Am zweiten Tag kann die interreligiöse Konferenz „Com Unity Spirit“ mit ersten Ergebnissen aufwarten. In sechs unterschiedlichen Workshops zum Thema „Gott und Transzendenz“ kamen die 150 Teilnehmenden in mehreren Punkten überein: Religion braucht nicht nur Toleranz. Gemäß einer Political Correctness soll auch eine „Religious Correctness“ entwickelt werden. Darüber hinaus sollen religionsübergreifende Angebote im Bereich von Bildung, Sport und Kultur helfen, interreligiöses Taktgefühl zu vermitteln. Umgekehrt wollen Religionen aber auch gefordert werden. So der Aufruf der Konferenz-Teilnehmenden an die Stadt, die insgesamt 100 Religionsgemeinschaften vor Ort auch in die Pflicht zu rufen, an einem gelingenden Zusammenleben in Graz mitzuarbeiten.
Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Josef Kuschel (Jahrgang 1948) lehrt Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Fakultät für katholische Theologie der Universität Tübingen. Zugleich ist er stellvertretender Direktor des Instituts für ökumenische und interreligiöse Forschung der Universität Tübingen. Der Reinländer studierte Germanistik und katholische Theologie an den Universitäten Bochum und Tübingen. Er war von 1995 bis 2009 Vizepräsident der Stiftung Weltethos (Tübingen), seither ist er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Weltethos und seit 2012 in deren Kuratorium.