Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
Es gibt viele Möglichkeiten, sich in der Kirche zu engagieren! Mehr Infos
Schulen, Kindergärten, Bildungshäuser und vieles mehr: Kirche ist ein wesentlicher Bildungsanbieter. mehr Infos
„In der Heiligen Schrift spricht Gott zum Menschen nach Menschenweise. Um die Schrift gut auszulegen, ist somit auf das zu achten, was die menschlichen Verfasser wirklich sagen wollten und was Gott durch ihre Worte uns offenbaren wollte.“ (Katechismus der Katholischen Kirche §109, im Anschluss an Vaticanum II)
1. Die Bibel ist kein wörtliches Diktat Gottes. Sie ist im Lauf eines Jahrtausends entstanden und das schriftliche Ergebnis unzähliger Erfahrungen, die Menschen (im Volk Israel und in der Urkirche) mit Gott gemacht haben.
2. Die Verfasser der Bibel waren Menschen. Sie bedienten sich daher des Weltbildes, der Naturerkenntnis, der Sprachen und der Ausdrucksmittel ihrer Zeit. Das II. Vatikanische Konzil erklärt: „Will man richtig verstehen, was der Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muss man [...] genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten, wie auf die Formen, die damals im menschlichen Alltagsverkehr üblich waren.“ (DV 12)
3. Die Bibel ist Gotteswort in Menschenwort. Ihre Verfasser waren vom Hl. Geist nicht manipuliert, aber inspiriert, sodass durch ihre Worte Gott auch heute noch zu uns „redet“.
4. Gottes Wort liegt auch in rauer Sprache vor. „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen...“ (Hebräer 1,1) – manchmal auch in „Sprachen“ und „Dialekten“, die wir heute schwer verstehen und die für uns sogar anstößig klingen.
5. Einer dieser anstößigen „Dialekte“ ist die altorientalische Gewalt-Sprache. Man schreibt z. B. einer Person Gewalttaten zu, um sie als besonders starken Helfer auszuweisen (1 Samuel 18,7: „Die Frauen spielten und riefen voll Freude: Saul hat Tausend erschlagen, David aber Zehntausend!“ = David ist der bessere Beschützer unseres Volkes). Das muss nicht immer heißen, dass solche Gewaltakte real passiert sind.
6. Die Bibel spricht oft aus der Sicht der Bedrängten. Unterdrückte, verfolgte und bedrohte Menschen sind nicht „objektiv“; sie loben nicht die guten Seiten ihrer Feinde, sondern klagen oder schreien hinaus, worunter sie leiden. Sie machen sich gegenseitig Mut mit Erzählungen, in denen ein „schlagkräftiger“ Retter mächtige Feinde vernichtet hat. Mitleid mit dem besiegten Verfolger, Anteilnahme an seinem Schicksal ist in solchen Situationen (meist) nicht im Blickpunkt des Erzählers.
7. Die Bibel ist ein sehr ehrliches Buch. Auch Hass- und Rachegefühle bedrängter Menschen finden wir „unzensuriert“ in vielen Schichten der Bibel. Sie werden nicht verdrängt, sondern ohne Hemmung ausgesprochen. Der Weg zur Feindesliebe, wie Jesus sie lehrt und vorlebt, ist ein weiter und muss gelernt werden!
8. Auch von Gott wird oft in der Gewalt-Sprache gesprochen: „Mit Gott werden wir Großes vollbringen; er selbst wird unsere Feinde zertreten!“ (Psalm 60,14) „In dieser Nacht gehe ich durch Ägypten und erschlage in Ägypten jeden Erstgeborenen bei Mensch und Vieh. Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der Herr.“ (Exodus 12,12). Man will damit ausdrücken, dass Gott auf Seiten der Bedrängten steht und als gerechter Richter für Gerechtigkeit sorgen wird. (Ungerechtigkeit darf sich letztendlich nicht lohnen!)
9. „Zorn Gottes“ ist kein Gegensatz zur Liebe Gottes. Der liebende Gott ist ein engagierter Gott und daher auch ein Gott, der über Unterdrückung und Ungerechtigkeit zürnt. Er steht auf Seiten des Opfers und zürnt über den Täter. (Wir alle sind Täter und Opfer zugleich – Gott zürnt uns, insofern wir Täter sind, aber er steht an unserer Seite, insofern wir Opfer sind.)
10. Nicht alles, was in der Bibel steht, ist ein Tatsachenbericht. Ereignisse werden im Alten Orient oft viel blutiger geschildert, als sie tatsächlich geschehen sind. Die im Buch Josua erzählte brutale Eroberung Jerichos hat es historisch nicht gegeben (vgl. Finkelstein u. Silberman, Keine Posaunen vor Jericho, 2002). Auch der für uns heute höchst anstößige „Befehl Gottes“ zur Ausrottung ganzer Völker (Deuteronomium 20,16ff: „Du darfst nichts, was Atem hat, am Leben lassen!“) dürfte von Israel kaum je praktiziert worden sein. Er erinnert aber an die grausame Sitte vieler Völker, besiegte Feinde der Gottheit zu opfern (Gott wird durch dieses Opfer als eigentlicher Sieger, der für sein Volk kämpft, anerkannt).
11. Gott sprengt alle Gottesvorstellungen. Obwohl die Bibel sich nicht scheut, von Gott nach Menschenart zu reden (Gott „zürnt“, „bereut“, „lacht“), lässt sie keinen Zweifel, dass Gott alle Gottesbilder sprengt. (Hosea 11,9: „Ich bin Gott, nicht ein Mensch!“ Jesaja 44,6f: „Ich bin der Erste, ich bin der Letzte, außer mir gibt es keinen Gott. Wer ist mir gleich?“) – IV. Laterankonzil (1215): „Zwischen Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen nicht eine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre."
12. Die Grundbotschaft ist maßgeblich. Nicht alles in der Bibel ist gleich wichtig. Man kann innerhalb der Bibel Entwicklungen erkennen (schon im AT wird Rache immer mehr eingeschränkt, Jesus lehrt schließlich überhaupt Racheverzicht). Es gibt klare und dunkle Stellen. Die dunklen Stellen sind im Lichte der biblischen Grundbotschaft zu deuten: Gott liebt die Menschen und will ihnen „Leben in Fülle“ schenken (vgl. Johannes 10,10).
13. Am klarsten hat Gott sich in Jesus von Nazaret ausgedrückt. Er ist das Mensch gewordene Wort Gottes (vgl. Johannes 1,14). Er hat die Feindesliebe gelehrt (vgl. Matthäus 5,44-48) und alle selig gepriesen, die barmherzig sind und keine Gewalt anwenden (vgl. Matthäus 5,5-7). Am Kreuz hat Jesus - so erzählt Lukas - sogar für seine Feinde gebetet: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." (Lukas 23,34). Im Licht dieser Liebe, die nicht nur die eigene Not, sondern auch die Situation des Feindes verstehen will, dürfen wir die ganze Bibel lesen und interpretieren, auch jene Stellen, die sich noch einer „inhumanen“ Sprache bedienen.
14. Gottes Geist wirkt noch immer. Ein Einzelner, der in der Bibel liest und sie eigenmächtig interpretiert, kann leicht in die Irre gehen, wie die Entstehung unzähliger Sekten beweist. Als katholische Christen lesen und deuten wir die Heilige Schrift daher immer im Licht des Glaubens, wie er in der Gemeinschaft der Kirche seit fast 2000 Jahren verkündet, entfaltet, gelebt und gefeiert wird. Wir sind fest davon überzeugt: Derselbe Geist, der die Schriftsteller der Bibel inspiriert hat, begleitet auch die Kirche durch die Jahrhunderte und lässt sie Gottes Wort immer besser verstehen (vgl. Johannes 16, 12).
Dieser Beitrag wurde auch in der Linzer Bibelsaat 95, März 2006, S. 24-25, veröffentlicht.