Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
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Kirche steht unter dem Druck massiver Veränderungsprozesse. Allerorten wird gefordert, dass sie ihre Entwicklung nicht nur strukturell vorantreibt, sondern als „geistliche Prozesse“ angeht, ihre Entscheidungen geistlich trifft. Dr. Peter Hundertmark benennt einige Vorbedingungen, damit geistliche Prozesse beginnen.
Muße
Anhalten, im Körper ankommen, miteinander sein, Entspannung, Freiräume, überzählige Zeit und Kraft… sind die notwendige Vorbedingungen für geistliche Prozesse. Diese Voraussetzung ist jedoch in den meisten Fällen des pastoralen Alltags sowohl der Hauptamtlichen, wie der Engagierten, nicht gegeben. Es braucht deshalb die ausdrückliche Erlaubnis und reale Veränderungen für Muße.
Wer geistliche Prozesse der Kirchenentwicklung will, muss sehr grundsätzlich umdenken und umkehren. Kirche vor Ort hat oft nicht einmal genug Zeit und Kraft für alles Notwendige, geschweige denn für alles Sinnvolle. In Situationen menschlicher Überforderung ist aber wenig Platz für das Wirken des Geistes Gottes. Wer geistliche Prozesse will, muss den Weinberg der Pastoral beschneiden – nicht ein paar Stunden im Monat frei räumen, sondern radikal herunterschneiden! Wie im Januar in den Weinbergen…
„Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.” (Joh 15,2)
Gebet
Zweite Bedingung ist, dass die Muße auch für Gebet – über die Liturgie hinaus – genutzt wird. Schweigen, freies Gebet, die persönliche Gottsuche, Nachfolge… sind aber nicht überall integraler Bestandteil kirchlicher Abläufe. Persönliches Beten, Stille, Achtsamkeit, geduldiges Hören auf den Geist Jesu… ist oft „nur“ dem privaten Vollzug überantwortet – wo sie geübt werden oder eben nicht.
Fehlt Gebet als zentrales Element der Kirchenentwicklung sind Stillstand, Widerstand, Abstand… die Folgen. Dann verschwindet die Wahrnehmung des Wirkens des Geistes Gottes. Kirche, Gruppen, Einzelne werden kraftlos, müde, desorientiert, blockiert. Ohne Gebet brauchen wir aber keine Versuche machen, geistliche Entwicklungsprozesse auf den Weg zu bringen. Wer geistliche Prozesse der Kirchenentwicklung will, muss Gebet in die institutionellen Abläufe, Sitzungen, Treffen, seelsorgerlichen Handlungen hinein organisieren.
„ Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist;“ (Eph 6,18)
Sendung
Geistliche Prozesse der Kirchenentwicklung sind keine Selbstbeschäftigung, keine Nabelschau, keine Entweltlichung… Es geht im ganz konkrete Dinge, die überlegt, entschieden und getan werden müssen. Dabei ist zu beachten, dass der Geist Gottes der Geist Jesu ist und er es deshalb leichter hat, wenn die Suchrichtung, die er unterstützen soll, sich mit der Lebensausrichtung Jesu deckt.
Jesus aber ist gekommen, „zu retten, was verloren ist“, „Armen das Evangelium zu verkünden“, „Kranke zu heilen“… Er ist strikt außenorientiert. Seine Sendung ist nicht der Aufbau eines frommen Kreises, sondern die Rettung der Menschen aus Sünde und Tod. Daran beteiligt er andere – die Apostel, die seine Sendung übernehmen, sich mit hinein stellen, weitertragen, was er tun will. Kirche ist auf das Fundament der Jesu und der Apostel gegründet. Von diesem Fundament her ist sie vor allem und zuerst Sendung für das Heil der Welt und der Menschen – und erst der zweite Blick gilt ihr selbst und was sie intern für ihre Sendung nach außen braucht.
Begleitung
Geistliche Prozesse der Kirchenentwicklung benötigen immer eine Person, die auf den Prozess achtet, Muße offenhalten hilft, Beten anregt und einfordert, die Außenorientierung der Sendung und das Segeln vor dem Wind des Geistes Gottes im Blick behält.
Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: ein/e externe/r Begleiter/in, dem/er die Gruppe, das Team, das Gremium diese Aufgabe überträgt; oder ein Mitglied (das kann sogar immer mal wechseln!), dem die anderen Mitglieder diese Position übertragen. Je mehr diese/r „Spiritual/in“ über Erfahrung und ein reflektiertes Wissen über geistliche Prozesse, ihre Dynamik, Abfolge, Interventionsmöglichkeiten verfügt, desto effektiver ist er/sie für die Gruppe. Minimale Bedingung aber ist, dass der/die „Spiritual/in“ glaubt, dass Gott durch seinen Geist aktiv und aktuell in die kirchlichen Abläufe hinein handelt, dass Gott mit eigenem Willen und eigener Vision – oft überraschend – in das Geschehen eingreift, dass dieses Handeln Gottes wahrnehmbar und verstehbar ist, dass Gottes Handeln notwendend ist für Kirche und gut für Menschen und Schöpfung.
Offenheit
Geistliche Prozesse der Kirchenentwicklung haben eine doppelte Eigenart: Sie schaffen innerhalb einer Gruppe in der Regel breiten Konsens, aber es entstehen in den verschiedenen Gruppen sehr unterschiedliche Konkretisierungen. Der Geist Gottes ist nämlich immer konkret. Er bezieht die Situation am Ort ein, die handelnden Personen, die konkreten Bedarfe… und das führt zwangsläufig zu unterschiedlichen Ergebnissen. Manchmal sieht es so aus, als würden sich die Ergebnisse widersprechen, wüssten wir nicht, dass sie alle Frucht des einen Geistes Gottes sind.
„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. “
(1 Kor 12, 4-6)
Mut
Geistliche Prozesse der Kirchenentwicklung beginnen nur, wenn sie gewollt werden. Geistliche Prozesse wollen, heißt aber, bereit zu sein, die Kontrolle über die Ergebnisse aus der Hand zu geben, andere Geschwindigkeiten einzuplanen und vor allem auch, bereit zu sein, dass was sich unter dem Wirken des Geistes Gottes zeigt, auch in die Praxis umzusetzen. Geistliche Prozesse bringen Charismen zum Vorschein, lassen Lösungen entdecken, lassen neue Formen von kirchlichem Leben aufblühen. Geistliche Prozesse sind aber auf Jahre tot und desavouiert, wenn ihre Ergebnisse ausgehebelt werden.
Autor: Dr. Peter Hundertmark, Artikel wurde gekürzt; ungekürzter Artikel ist abrufbar unter: Voraussetzungen geistlicher Prozesse der Kirchenentwicklung