Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
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1. Herr öffne meine Lippen
„Herr öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkündet.“ Mit diesen Worten beginnt jener Teil des Stundengebetes der Kirche, mit dem eine betende Versammlung oder auch nur einzeln Betende sich in den riesigen Chor einfügen, der in unserer Weltkirche täglich an unzähligen Orten sprechend oder singend die Stimme zu Gott erhebt.
Die anderen Tagzeitgebete beginnen mit den Worten: „O Gott, komm mir zu Hilfe. Herr, eile mir zu helfen.“ Als Student der Theologie und dann als junger Priester habe ich oft am Stundengebet der Nonnen in der Abtei St. Gabriel-Bertholdstein oder der Benediktiner in Seckau teilgenommen. Diese Worte wurden damals noch in lateinischer Sprache gesungen, verbunden mit einer herzbewegend schönen Melodie des Gregorianischen Chorals. Sie lauten dann: „Deus, in adiutorium meum intende.“ Solches gibt es auch heute in großen Klöstern wie Beuron, Maria Laach oder Heiligenkreuz, und zwar nicht als musealer Restbestand, sondern als eine kostbare Synthese zwischen Glaube und ererbter Kultur. Es soll weiterhin einen Platz haben im Leben der Weltkirche und im Leben einer Diözese des deutschen Sprachraums. Ich sage das auch als Bischof, der von der eigenen Bischofskonferenz durch viele Jahre für Fragen der Liturgie besonders beauftragt war und als emeritierter Diözesanbischof weiterhin darüber nachdenkt und spricht. Es ist aber unbestreitbar klar, dass heute die Eucharistie und das Stundengebet zu allermeist in der Volkssprache gefeiert werden und dass dies pastoral richtig und wichtig ist. Jeder Ritus, ob deutsch oder in einer anderen Sprache, braucht aber einen Geist und eine Gestalt, die durch Heiligkeit und Schönheit beseelt ist und einen offenen Himmel über den Betenden erahnen lässt.
Liebe Beterinnen und Beter, die am Stundengebet der Kirche teilnehmen und es mitverantwortlich gestalten! Ich wünsche Ihnen, dass Sie den einleitenden Ruf an Gott – „Herr, öffne meine Lippen!“ –
zutiefst auch Ihr eigenes Wort sein lassen. Sie werden dann immer wieder erleben, dass es ein Wort gegen alle Schwerkraft ist, die uns manchmal zu Boden zieht.
2. Gottesdienst als Antwort an Gott
Beim Mitteleuropäischen Katholikentag am 22. Mai 2004 haben sich fast 100.000 Katholiken aus mindestens acht Ländern in Mariazell mit ihren Bischöfen versammelt und bei ungemein schlechtem Wetter unzähligen im In- und Ausland durch Fernsehen und andere Medien daran Beteiligten das Zeugnis eines strapazfähigen, wetterfesten Glaubens gegeben. Die Vorsitzenden jener acht Bischofskonferenzen, die nach Mariazell eingeladen hatten, haben bei dieser Eucharistiefeier eine gemeinsame Botschaft vorgetragen. Sie ist ein Gefüge aus sieben Bitten an die Katholiken ihrer Länder, ein weitmaschiger und daher auch heute nicht überholter Pastoralplan. Die zweite dieser Bitten spricht über Gebet und Gottesdienst auch als stellvertretender Dienst für Menschen, die (noch?) nicht beten können oder wollen. Sie lautet:
„Beten lernen und beten lehren“
Europa wird nur gesegnet sein, wenn es hier viele Menschen gibt, die miteinander und auch einzeln beten und so Gott eine lobende, dankende und bittende Antwort auf das Wort geben, das er durch Schöpfung und Erlösung immer neu zu uns spricht. Unsere Pfarrgemeinden und Gemeinschaften sollen noch mehr Schulen des Gebetes werden. Heiligkeit und Schönheit als Teilhabe am Glanz Gottes müssen die Liturgie wieder stärker prägen. Bitten wir um die Kraft des Heiligen Geistes, dies zu tun.
3. Abendlicher und nächtlicher Gesang
In einem Kalender habe ich einen Spruch gelesen, der angeblich aus China stammt und der auch auf das christliche Abend- und Nachtgebet bezogen werden kann. Der Spruch lautet: „Glaube – das ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist.“ Damit ist wohl gesagt, dass Glauben ein Wagnis ist. Gemeint ist damit nicht nur ein christlich-religiöser Glaube, sondern zunächst Glaube als Vertrauen überhaupt: Vertrauen auf Menschen und auf einen schließlich doch glückhaften Weg aus einer schwierigen Situation. Im Horizont des biblischen Glaubens richtet sich ein solches Vertrauen aber in all dem und über all das hinaus auf Gott: „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“, singt ein altes Kirchenlied. Für den „Vogel Glaube“ wird sein Vertrauen immer wieder zum Gesang. Singen ist ja etwas vom Befreiendsten, das Menschen tun können in Freude aber auch in Schmerz.
Der nächtliche Vogelgesang ist aber nicht nur ein Ausdruck für Glaube als Vertrauen, sondern auch eine Gestalt von Hoffnung als adventliche Haltung. Glaube, Hoffnung und Liebe – das sind ja für den christlichen Glauben Geschwister, die einander ergänzen.
4. Nach deinem Antlitz suche ich, o Herr (Psalm 27,8)
Spuren im Sand, im Leben oder im Schnee faszinieren viele Menschen, gleichviel ob es die Spur eines Tieres ist, der ein Jäger folgt, oder die Spuren von Menschen, denen ein Verfolger oder ein Lebensretter nachgeht. Um das Suchen und Finden einer Spur geht es auch im religiösen Leben: um eine Spur Gottes, die sich durch den Alltag zieht. Sie hört oft plötzlich auf, wie Spuren auf einem Weg, der verweht ist oder sich im Nebel verliert. Aber die Gottsucher sterben nicht aus, auch heute nicht. Und aus der die Sonne Gottes verdeckenden Wolke dringt für sie manchmal plötzlich ein Lichtstrahl; ein erhellendes, wärmendes Licht und zugleich eine Flamme, die in sanfter Unerbittlichkeit alles, was Schlacke ist, wegbrennen will.
„Die Welt ist voller Licht, aber der Mensch verdeckt es sich mit seiner kleinen Hand“, sagt ein altes Wort religiöser Weisheit. Je mehr ein Mensch von den Höhen und Tiefen des Lebens weiß, desto aufmerksamer kann er auf die Spuren göttlichen Lichtes in der Welt achten. Auf dieses Licht verweisen auch die Lichter im kirchlichen Gottesdienst: die Lichter der großen Leuchter und der viel kleineren Kerzen und das sogenannte Ewige Licht vor dem Tabernakel. Hier ist Christus – in Brotgestalt verborgen – gegenwärtig, er wartet den Menschen entgegen, die sich ihm hier außerhalb der Heiligen Messe betend zuwenden.
5. Wort und Schweigen
Der Holländer Henri J. M. Nouwen hat vor Jahrzehnten ein viel beachtetes Buch geschrieben mit dem Titel „Ich hörte auf die Stille“: ein Tagebuch über seinen mehrmonatigen Aufenthalt in einem kanadischen Trappistenkloster bei Mönchen, die entsprechend einer strengen Ordensregel Arbeit, auch Handarbeit, mit viel Gebet verbinden und sich Gott besonders auch in viel Schweigen zuwenden.
Zu dieser Lebensform sind nur wenige Christen berufen. Ich kenne eines ihrer weltweit jüngsten Klöster. Es wurde in Tschechien inmitten einer entchristlichten Gegend bei Pilsen entsprechend den Plänen des britischen Stararchitekten Pawson, eines Agnostikers, errichtet. Die Mehrheit der Mönche ist jünger als dreißig Jahre. Sie stammen aus Frankreich oder aus dem atheistisch geprägten Tschechien, sind unverkrampft, gebildet und tun stellvertretend für alle anderen viel von dem, was Menschen, auch Christen, in diesem Land nur wenig tun: in der Stille auf Gott hören im Advent ihres Lebens, im Advent der Weltgeschichte. Immer, wenn ich, beladen mit andrängenden Problemen, an diese Mönche denke, bekomme ich Kraft zur Gelassenheit.
6. Effata – öffne dich!
Bei der Taufe eines Kindes können, ja sollen dessen Ohren und Zunge berührt werden. Dabei wird das aramäische Wort Effata gesprochen, das heißt „Öffne dich!“. Die Kirche folgt dabei dem Beispiel Jesu, der dies getan und gesagt hat, als er einen taubstummen Mann heilte. Er hat dies unter Seufzen getan. Dieser Seufzer ist ein Ausdruck des Leidens, des Mitleidens über so viel menschliche Sprachlosigkeit und Unfähigkeit zum Hören. „Man sieht nur mit den Augen des Herzens gut“, hat Saint-Exupéry gesagt. Man kann dieses Wort ausweiten: Man hört nur mit dem Herzen richtig und man spricht nur aus dem Herzen Wichtiges und Bleibendes. Unsere Gesellschaft ist sehr wortreich, ja geschwätzig. Viel Wichtiges bleibt dennoch ungesagt. Die Bibel spricht von einem Mann, dem Gott täglich das Ohr und den Mund auftut. Dieser Gottesmann sagt von sich: „Der Herr gab mir den Mund eines Jüngers, dass ich verstehe, den Müden zu stärken durch ein gutes Wort. Er öffnet mir an jedem Morgen das Ohr, damit ich höre, wie ein Jünger hört (Jes 50,4)“. Man braucht die Ohren eines Jüngers, um die Herztöne der Menschen zu hören und um inmitten der Geräusche des Alltags die leise Stimme Gottes zu vernehmen. Man braucht den Mund des Jüngers, um Worte zu sagen, die trösten und heilen. Viel Schwerhörigkeit und viel Sprachlosigkeit sind in der Welt. Viele Worte werden gesagt, die zerstören und zersetzen. Es gibt aber auch das Wort, das leben lässt, das Wort, das man nie mehr vergisst. Von solcher Art sind meist auch das erste Wort eines Kindes und das letzte Wort eines Sterbenden. Und auch zwischen diesem Anfang und Ende wird vieles gesagt, von dem Menschen leben können. Das muss kein langes Wort sein. Das kürzeste Wort unserer Sprache, das JA, kann alles sagen, was wir zu verschenken haben.
7. Gottesdienst auch als Stellvertretung für andere Christen und für die Menschheit überhaupt
Viele Menschen in der Steiermark erinnern sich in Dankbarkeit an den römisch-katholischen Mönch und Archimandriten der mit Rom unierten Ostkirche, Daniel Gelsi, der durch einige Jahre als Mitarbeiter bei der Grazer Katholischen Hochschulgemeinde gewirkt, zugleich im Priesterseminar gewohnt und ein theologisches Doktorat bei Professor Johannes Bauer erarbeitet hat. Nachher war er Professor an der Benediktinerhochschule Sant‘ Anselmo in Rom und ist früh verstorben. Durch Jahre hat er auch jeweils am Beginn des Jahres in Jerusalem bei der Abtei Sion Vorlesungen für dort Studierende gehalten. Im Jänner 1981 war ich für eine Woche auf seine Einladung hin Gast in dieser weltbekannten Benediktinerabtei. Er lud mich ein, mit ihm an der Vesperliturgie im Jerusalemer Zentrum der russisch-orthodoxen Kirche teilzunehmen. Das russische Kloster glich damals einer kleinen Festung, weil es einem politisch-religiös motivierten Telefonterror ausgesetzt war, der, begleitet von Todesdrohungen, die dortigen Priester und Nonnen zur Auswanderung zwingen wollte. Andererseits waren sie von der damaligen kommunistischen Herrschaft in Russland streng kontrolliert. Die Vesperliturgie am Vorabend des Epiphaniefestes dauerte beinahe drei Stunden und wurde von einem Priester, einem Diakon und vielleicht sieben Nonnen mit größter Feierlichkeit und Schönheit, die von der orthodoxen Kirche aufgeboten werden kann, gefeiert. Unter der kleinen mitfeiernden Gemeinde gab es nur katholische und evangelische Christen. Ich staunte über die geistliche Kraft, die von den Liturgen und vom Gesang der Nonnen ausging, und fragte Pater Daniel Gelsi: „Wie halten diese braven Christen weit entfernt von ihrer russischen Heimat eine solche gute Spannung aufrecht?“ Der Pater antwortete lapidar: „Sie vertreten ganz Russland an den heiligen Stätten in Jerusalem und das hält sie aufrecht.“ Das war ein besonders bewegendes Beispiel für ein christliches Leben und seinen Gottesdienst als verdichtete Stellvertretung für andere Menschen, ja für ein ganzes Volk vor Gott. Was sagt das uns in Österreich heute für unsere Gottesdienste, die manchmal beeinträchtigt sind durch eine geringe Zahl von Teilnehmenden, aber auch durch manche Lieblosigkeit bei der Gestaltung, die nicht spüren lässt, dass hier ja Gott da ist, gegenwärtig ist, wie uns Jesus Christus verheißen hat?
Wenn die an einem Wochentag oder einem gewöhnlichen Sonntag in einer nicht sehr lebendigen Stadtpfarre zur Feier der Eucharistie versammelten und meist älteren Christen auf die Frage fixiert sind, warum so viele andere Getaufte und im Pfarrsprengel Lebende heute und meistens auch sonst nicht da sind, dann kann das mutlos oder aggressiv machen. Diese treuen Christen können aber eine Blickumkehr vollziehen und sagen: Wir stehen oder knien bei diesem Gottesdienst auch stellvertretend für alle anderen: für die anderen, die nicht kommen können oder nicht kommen wollen. Auch auf sie hat Christus in der Taufe seine Hand gelegt und er zieht sie nicht zurück. Für sie feiern wir stellvertretend die Eucharistie entsprechend einem Wort an Gott, den Vater, im Zweiten Eucharistischen Hochgebet: „Wir danken Dir, dass Du uns berufen hast, vor Dir zu stehen und Dir zu dienen.“ Und wir feiern die Eucharistie nicht nur für die ganze Kirche, sondern stellvertretend auch für die ganze Menschheit, „pro totius mundi salute“. Eine solche Umkehr des Blickes weg von der Ausrichtung allein nach innen, sondern auch nach außen „bis an die Grenzen der Erde“, wie das Evangelium sagt, ist eine Kraft gegen Kleinmütigkeit. Eine Kraft auch gegen einen pharisäischen Stolz, der nicht bereit ist zur Stellvertretung vor Gott als einem demütigen Dienst für andere Christen, aber auch für andersglaubende und nichtglaubende Mitmenschen.
8. Eucharistische Anbetung als Frucht der Eucharistiefeier
Der evangelische Christ Roger Schutz hat vor Jahrzehnten im kleinen französischen Dorf Taizé nahe der größten mittelalterlichen Abtei Cluny, die von der französischen Revolution zerstört worden ist, einen kleinen mönchischen Anfang gesetzt, ein Senfkorn, das indessen schon so etwas wie ein Baum geworden ist. Das war deshalb besonders erstaunlich, weil das Mönchtum in den evangelisch-lutherischen und in den calvinisch-reformierten Kirchen durch Jahrhunderte fast zur Gänze erloschen war. Heute ist Taizé ein weltbekanntes Zentrum einer Gemeinschaft von ungefähr hundert Brüdern, die evangelische, katholische und orthodoxe Christenheit auf eine besonders profunde Weise verbindet.
Frère Roger Schutz, der mir auch persönlich bekannt gewesene und schließlich auf tragische Weise gestorbene Prior dieser Gemeinschaft, hat im Lauf von Jahrzehnten viele geistliche Texte veröffentlicht, die eine weithin ausstrahlende Wirkung hatten und auch heute noch haben. In einem seiner Tagebücher aus einem frühen Jahr findet man die Eintragung „Heute verweilte ich durch lange Zeit in der kleinen (katholischen) romanischen Dorfkirche vor dem Tabernakel im Gebet. Dies ist ein bewohnter Ort.“ Der protestantische Mönch fügte dem die Frage hinzu, warum diese Art von Spiritualität in nicht katholischen Kirchen keine Heimat habe. Als evangelischer Christ bekundete er so, dass ihm das Gebet vor dem Tabernakel einer katholischen Kirche eine wichtige geistliche Quelle war. Ein solches Gebet gibt es heute vor allem oder eigentlich nur in katholischen Kirchen. Es ist nur möglich, weil hier einige bei einer Eucharistiefeier konsekrierte Hostien nach der Messe im Tabernakel geborgen werden, auch um sie jederzeit zu kranken oder sterbenden Christen zu bringen. Daraus hat sich bald schon der Brauch entwickelt, vor dem Tabernakel in der Kirche schweigend und betend zu verharren und so den eigenen Glauben und die Liebe zu Gott zu vertiefen.
Vor den Tabernakeln unserer Kirchen brennt, wenn sie nicht leer sind, ein beständiges, ein sogenanntes Ewiges Licht. Es verweist darauf, dass hier der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus in Gestalt des bei der Messe konsekrierten Brotes gegenwärtig ist. Das Wort Gegenwart soll hier sozusagen „beim Wort“ genommen werden. Es sagt, dass etwas oder jemand gegenwärtig, da, ist. Jesus Christus wartet im Tabernakel den Menschen entgegen, die hierher kommen, um einfach still zu werden und dann auch schweigend, sprechend oder singend Gott, Christus zu loben, zu danken oder auch zu bitten. Von dieser Art katholischer Frömmigkeit geht täglich viel Segen aus. Er wird von den meisten Menschen nicht wahrgenommen, aber für Unzählige ist er spürbar. Es muss klar sein, dass dieser Segen nur durch eine vorausgehende Eucharistiefeier möglich geworden ist und dass er auch auf künftige Eucharistiefeiern hinweist und dazu einladet. Die orthodoxe Christenheit hat diese Art von Frömmigkeit nicht oder kaum ausgeprägt, aber sie lebt aus dem großen Schatz der Feier der Eucharistie und der Verehrung von Ikonen und füllt dadurch immer neu ihre geistlichen Brunnen. Die katholische Kirche in der sogenannten westlichen Welt wäre aber sehr viel ärmer, würde sie die eucharistische Anbetung vergessen. Beim Weltjugendtreffen in Köln im Jahr 2005 war ungefähr eine Million von jungen Christen mit dem Papst auf einem riesigen Feld versammelt. Auf einem kleinen Hügel am Rand des Feldes kniete Papst Benedikt XVI. vor der Monstranz mit dem Allerheiligsten. Die Jugendlichen waren eingeladen, mit ihm eine Zeitlang schweigend betend zu verharren. Es war ergreifend zu erleben, wie eine Million junge Leute ohne Ausnahme miteinander auf diese Weise gebetet hat.
9. Das Schöne im Gottesdienst
Bleibt die katholische Kirche ein Ort des Schönen? Diese Frage wurde in den vergangenen Jahrzehnten oft gestellt, und zwar besonders auch bezogen auf die katholische Liturgie. Man kann die Frage auch ausweiten: Bleibt die Kirche ein Ort, eine Heimat der Kunst – alter wie neuer Kunst? Kunst als Seismograph der jeweiligen Situation und einer ganzen Epoche muss nicht schön sein – sie thematisiert auch das Tragische, das Schreckliche, ja das Böse. Aber im Ganzen kann sie nie auf das Schöne verzichten. Das Wahre, das Schöne und das Gute haben eine gemeinsame Wurzel und der sie umgreifende gemeinsame Quellgrund ist Gott selber. All das prägt unverzichtbar auch den Gottesdienst, die Liturgie.
Das II. Vatikanische Konzil hat über die Liturgie gesagt: „Die Riten mögen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 34). Der Ton liegt hier gleichermaßen auf dem Wort edel wie auf dem Wort einfach. Edel, das bedeutet unverzichtbar auch schön. Edel, das ist eine Absage an Luxus, an leeren Prunk im kirchlichen Leben und auch in der Liturgie. Das kann aber nicht ein genereller Verzicht auf ererbte oder neue Schönheit in Architektur, Bildender Kunst und Musik sein, keine freiwillige Auswanderung aus Kathedralen, kein offensiver Abbau von Symbolen. Das Schöne im Gottesdienst ist auch ein Widerstand gegen Banalität und gegen eine bloß ethische oder gar einseitig politische Aufladung der Liturgie.
Was mit dem Beharren auf Schönheit, auf edle Einfachheit auch gemeint ist, hat vor Jahrzehnten der früh verstorbene Wiener Weihbischof Florian Kuntner – damals noch Dompfarrer von Wiener Neustadt – gemeinsam mit seinem Pfarrgemeinderat getan. Damals war eine Renovierung des dortigen Domes fällig. Sozial sensible Katholiken wehrten sich gegen dieses Projekt und verlangten, man solle, ja man müsse das Geld dafür Notleidenden in der damals sogenannten Dritten Welt zur Verfügung stellen. Der Weihbischof sagte, wir machen beides und bringen gleichviel Geld für den Dom wie für die Dritte Welt auf. Das ist schließlich gelungen und bleibt ein positiv herausforderndes Beispiel auch für heute und morgen.
10. Schwellen achten
Das Wort Schwelle bezeichnet ebenso wie das Wort Grenze einerseits unverzichtbar Positives und andererseits auch Hemmendes, dem man sich entziehen möchte. Schwellen und Grenzen können ja hüten und schützen, sie können aber auch quälend einengen. Es gibt Raumschwellen aber auch Zeitschwellen. Und es gibt bezogen auf beide auch ethische Schwellen, Grenzen zwischen Gut und Böse. In diesem Generalhorizont vollziehen sich auch der Gottesdienst der Kirche und die Hinwendung zu Gott im Gebet allein oder in kleiner Gemeinschaft außerhalb des Gottesdienstes. Beides beginnt meist mit einem Kreuzzeichen. Es setzt eine zeitliche Schwelle zwischen Vorher und Nachher und markiert oft auch, dass man vorher eine Raumschwelle überschritten hat, die das Innere eines Kirchen- oder Kapellenraums von dem trennt, was draußen ist.
In einer Gesellschaft wie der unseren sind viele alte Schwellen flach geworden oder ganz verschwunden. Davon sind auch die Christenheit inmitten der Gesellschaft und besonders die katholische Kirche sehr betroffen. Das Verflachen oder gar Beseitigen von Schwellen kann zu einer Banalisierung des Lebens führen und im Gottesdienst zu einem Verlust der im Ganzen unverzichtbaren sakralen Dimension.
Die Schwellen an der Tür alter katholischer Kirchen sind oft ausgehöhlt durch die Schritte unzähliger Menschen aus vielen Generationen. Es ist gut, dass diese Kirchen gerade heute barrierefreie Zugänge haben, um Menschen mit Behinderung den Weg nach innen zu erleichtern. Komplementär dazu müsste aber in Predigt und Katechese und auch im Religionsunterricht das Symbol Schwelle wieder stärker Beachtung finden. Es gehört auch zu einem europäischen Kulturwissen zu erfahren, warum den ernsthaft glaubenden Katholiken beim Eintreten in eine Kirche ein Schwellenritus auferlegt ist: das Eintauchen der rechten Hand in geweihtes Wasser und das sich Versiegeln mit dem Kreuzzeichen und darüber hinaus dort, wo Christus in Brotsgestalt im Tabernakel anwesend ist, auch eine Kniebeuge vor dem durch das Ewige Licht markierten Tabernakel. Muslime ziehen vor dem Eintreten in ihre Moscheen die Schuhe aus und andersglaubende oder auch nichtglaubende Touristen tun dies dort gern oder ungern ohne Ausnahme ebenfalls. Wir Katholiken sollten den oft ahnungslosen oder respektlosen Touristen wenigstens durch unser eigenes Betragen (z. B. auch in der römischen Peterskirche) zeigen, dass unsere Kirchen ein heiliger, ein geweihter Ort sind. In St. Peter in Rom gibt es dazu einen ausgegrenzten und behüteten Kapellenraum für die eucharistische Anbetung. Die große Kirche selbst ist komplementär dazu ein Raum, in den sozusagen alle Welt eingeladen ist, wenn sie bereit ist, die Grenzen eines zumutbaren Respektes nicht zu überschreiten. Ihr Vorhof ist der große Petersplatz, ein Symbol für eine Kirche der offenen und ausgebreiteten Arme, ein Symbol für die einladend ausgebreiteten aber auch deshalb durchbohrten und erst in der Auferstehung für immer verklärten Arme Jesu Christi.
11. Das Heilige in der Liturgie
„Heiligkeit und Schönheit als Teilhabe am Glanz Gottes müssen die Liturgie wieder stärker prägen“, haben beim Mitteleuropäischen Katholikentag in Mariazell im Mai 2004 die Vorsitzenden von acht daran beteiligten Bischofskonferenzen in einer gemeinsamen Botschaft an die ihnen anvertrauten Diözesen gesagt. Was aber ist Heiligkeit? Diesem sehr weitreichenden Thema ist mein Buch „Heilige Zeichen in Liturgie und Alltag“ gewidmet. Dort wird eingangs gesagt, dass die Bibel auf diese Frage – alles zusammenfassend – antwortet: Im radikalsten Wortsinn und alles andere überbietend ist nur Gott der Heilige. Alle Heiligkeit von Menschen, Worten, Orten und anderem auf Gott Bezogenem hat ihre tiefste Wurzel in Gott selber. Vor diesem biblischen Hintergrund ist für die Kirche daher all das andere von Gott hergeleitet und auf ihn hin ausgerichtet. Nur unter diesem Vorbehalt kann dann über Themen wie „Heilige Zeichen“, „Heiliger Raum“, „Heiliges Wort“, „Heiliger Klang“ und „Heilige Zeit“ angemessen gesprochen werden.
In den Jahrzehnten seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Liturgie von manchen Krusten befreit, die den Kern der Liturgie schützen sollten, aber teilweise auch seine Dynamik behindert haben. Diese im Ganzen notwendige Entwicklung war aber oft von der Kritik begleitet, dass die sakrale Würde, die Schönheit und in all dem auch die Heiligkeit der Liturgie sich vielerorts gemindert haben. Papst Benedikt XVI. hat schon als Kardinal und auch nachher manchmal die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass manche liturgische Gemeinden in Gefahr seien, sich mehr selbst zu feiern, als ausreichend stark auf Gott ausgerichtet zu sein. Diese Gefahr gibt es und sie darf nicht schöngeredet oder weggeredet werden. Im Ganzen ist aber auch die heutige römisch-katholische Liturgie weltweit unübersehbar und unüberhörbar von einem Leitwort in Zuordnung zum 100. Psalm der Bibel geprägt. Es lautet, als Kehrvers gesprochen oder gesungen, „Freut euch, wir sind Gottes Volk, erwählt durch seine Gnade!“. Unter Nummer 56 ist dieser Kehrvers im neuen katholischen Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“ zu finden. In diesem kurzen Text verbinden sich einzeln Betende zu einem ihr Ich übergreifendem Wir und wenden sich als Gemeinschaft Kirche Gott zu. Diese Verbundenheit wird für sie zum Quell einer Freude, die zum Reden oder sogar zum Singen drängt. „Wer singt, der betet (ja) doppelt“, hat der heilige Augustinus vor mehr als 1600 Jahren gesagt.
12. Einüben in die Liturgie
Liturgie ist immer eine gemeinsame Begegnung mit Gott und dies verlangt bei den an ihr Teilnehmenden und vor allem bei den für die Gestaltung besonders Verantwortlichen Achtsamkeit gegenüber dem Heiligen als Gestalt von Ehrfurcht und von Liebe zu Gott. Diese Achtsamkeit gegen alle Routine setzt auch eine Einübung in Liturgie voraus. Priester und Diakone müssen vor ihrer Weihe eine solche Einübung auf sich nehmen. Aber auch Frauen und Männer, die den Dienst als Lektoren oder Spender der Kommunion übertragen bekommen, werden darauf durch Verantwortliche vorbereitet. Junge Katholiken – Mädchen und Knaben –, die den Ministrantendienst tun, brauchen ebenfalls eine Begleitung, die nicht nur in den Ritus einführt, sondern auch den Sinn für das Heilige im Gottesdienst erschließt und wach hält.
Das Wort Einübung hatte in unserer Gesellschaft und auch in der Kirche in den vergangenen 50 Jahren oft einen schlechten Klang. Es wurde mit Dressur verwechselt und durch einen Kult der Spontaneität ersetzt. Nur in Sport und Musik galt Übung als unverzichtbar. Gelitten hat dadurch besonders auch die Liturgie. Seither hat sich in der Kirche vieles wieder gebessert, aber eine rechtverstandene Einübung in den Glauben und in das Leben aus dem Glauben bleibt ein Dauerauftrag. Eine Nagelprobe dafür ist die Liturgie und auch – wo es noch möglich ist – der Religionsunterricht.
Die Liturgie braucht einen Wechsel von Reden und Schweigen, von begeistertem Tun und Singen und kontemplativer Stille, von Stehen und auch Gehen und von unbewegtem Sitzen oder auch Knien. Eine gute Balance zwischen all dem braucht Einübung.
Im Schauspiel „Becket oder Die Ehre Gottes“ des französischen nichtglaubenden Schriftstellers Jean Anouilh findet man ein bewegendes Beispiel für die einübende Vorbereitung des Erzbischofs Thomas Becket von Canterbury auf den Vespergottesdienst in seiner Kathedrale. Es ist zugleich eine Einübung in sein bevorstehendes Sterben als Martyrer. Der Erzbischof ahnt seine Ermordung durch vier Barone, die sich dazu vom König als ermächtigt fühlen und schon unterwegs sind. In der Sakristei der Kathedrale wird der Erzbischof mit den liturgischen Gewändern bekleidet. Ein kleiner junger Mönch hilft ihm dabei mit ungeschickten Händen. „Lass die Schleifen auf“ sagt Becket zuerst. „Was getan werden muss, muss getan werden“, wendet der Mönch ein. „Binde die Schleifen alle zu. Lass keine aus ... Gott wird uns Zeit geben“ antwortet nun der Erzbischof. Diese Szene lässt an ein Wort von Karl Rahner denken: „Mit größerer Nähe zu Gott wächst das spezifische Gewicht der Dinge“. In der Todesstunde des Erzbischofs, die ihn in die größte Nähe zu Gott führen wird, soll es keinen Schlendrian geben. Auch in unserem Umgang mit dem Heiligen, mit den Heiligen Zeichen, sollte es keinen Schlendrian geben.