Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
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Es sind große, manchmal zu große Schuhe, wie auf der Einladung gezeigt, die wir uns mit der oft undifferenzierten Forderung nach Verantwortung anziehen lassen und selbst anziehen. Verantwortung jemandem aufzubürden, wo er oder sie keine Handlungsmacht hat, oder Verantwortung zu fordern, um anderen ihre Zuständigkeit abzusprechen, das ist überfordernd. Kein Wunder, dass wir dann die Sache mit der Verantwortung nicht zum Laufen bringen, es bei den zu großen Schuhen bleibt, die Blasen bewirken, die am Gehen hindern und so unser Weiterkommen behindern oder es gar zum Stolpern und Hinfallen kommt. Dann ist meist der andere schuld, dass nichts geht oder dass es zu falschen Handlungen kommt. Es ist wichtig, dass sich die Männerbewegung dieser Frage stellt, über die es sich natürlich weit über die KMBÖ hinaus nachzudenken lohnen würde.
Wenn das Ausüben von Verantwortung nicht möglich ist, kommt es zur Abschiebung von Verantwortung. Weil es schwer ist, Verantwortung zu tragen, übergibt man sie anderen, Zuständigen oder solchen, die man für zuständig hält. Mitunter begibt man sich lieber in Abhängigkeit, als selbst zu entscheiden, denn das könnte zu fordernd sein. „Wir können alles, aber nichts dafür!“ In diese falsche Konsequenz mündet dann die Rede von Verantwortung, teilweise als Vorwurf an die gerichtet, die uns unserer Meinung nach einerseits mit Verantwortung überhäufen und uns andererseits in der Wahrnehmung unserer Verantwortung beschränken.
Um uns die Komplexität, die Vielschichtigkeit von Verantwortung bewusst zu machen, möchte ich Blickpunkte von Verantwortung aufzeigen, wie sie sich in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 7. April 2022 finden. Es sind bei weitem nicht alle Bezugnahmen auf Verantwortung, die sich in dieser Nummer finden, ich habe nur vier herausgenommen, markante Punkte, wie ich glaube. Es sind Beispiele aus der bundesdeutschen Politik. Ich habe sie auch deswegen ausgewählt, um den Blick auf Verantwortung nicht vorschnell durch eine Zu- oder Abneigung aufgrund von zu starker Bekanntheit oder direkter Betroffenheit zu verengen.
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner antwortet in einem Interview auf die Frage des Reporters, „wenn Freiheit in Abhängigkeit führen kann, muss dann der liberale Freiheitsbegriff neu definiert werden? Im Sinne einer Freiheit 2.0, die die Bedingungen ihrer Möglichkeit mitbedenkt?“, folgendermaßen: „Nein, das ist schon bei Freiheit 1.0 so … Dass die Auswirkungen des eigenen Handelns auf andere mitbedacht werden müssen, gehört für mich zur an Verantwortung gebundenen Freiheit. Andere nennen das bürgerliche Haltung.“ (Die Zeit 7. April 2022, 6) Und in der weiteren Folge des Interviews, in der die Sprache auf den notwendigen Umbau der Gesellschaft in Bezug auf Klimawandel kommt, die harte Arbeit bedeute und für manche schwer zu bewältigen sei, sagt Minister Lindner: „Wir haben vor allem eine soziale Verantwortung für die Menschen, die in der Phase der Neugründung gesellschaftlichen Wohlstands besonders verwundbar sind. Denen dürfen wir nicht einfach Verzicht predigen.“
Hier kommen für mich zwei wichtige Aspekte von Verantwortung zum Tragen: Verantwortung hat immer die Auswirkungen mit zu bedenken, die die Umsetzung von Verantwortungsschritten mit sich bringt. Was bedeutet die Wahrnehmung meiner Verantwortung für andere und mit welchen Konsequenzen ist meine Handlung für andere verbunden. Und aus kirchlicher Sicht: Welche Konsequenzen hat die gewählte Vorgangsweise auf die Verwundbarsten der Gesellschaft? Sind für diese die Konsequenzen meiner Vorgangsweise überhaupt zu schaffen?
In derselben Nummer von „Die Zeit“ auf Seite 8 geht die Zeit-Mitarbeiterin Tina Hildebrandt unter der Überschrift „Im Gefängnis der Vergangenheit“ auf die wirklichen oder vermeintlichen Irrtümer der deutschen Russlandpolitik, hier besonders von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein. Dabei stehen die Fehleinschätzungen bezüglich Vladimir Putin durch den deutschen Bundespräsidenten in der Kritik. Hier zeigt sich, wie schwierig es ist, mit den Erfahrungen von heute Verantwortung für vergangene Vorgangsweisen zu postulieren. Es geht um Irrtümer in der Einschätzung der Realität, aus der sich dann Fehler im Handeln ergeben, mit zum Teil folgenreichen Konsequenzen, wie wir etwa in Bezug auf die Illusion der Verlässlichkeit Putins als Partner in der Gaslieferung sehen. Hildebrandt schreibt dazu: „Manche Fehler scheinen im Nachhinein fast unvermeidlich, weil man damals nicht wusste, was man heute weiß. Das sind die Fehler, die auf Irrtümern beruhen, meist sind es die besser verzeihlichen Fehler. Und es gibt Fehler, die wider besseres Wissen gemacht wurden. Das sind die unverzeihlichen Fehler. Für einen Bundespräsidenten, ein Staatsoberhaupt, jemanden also, der qua Amt ein Vorbild und Orientierungsgeber sein soll, sind beide gefährlich. Denn entweder stellen sie die Urteilskraft infrage oder die Integrität.“
Verantwortung zu tragen heißt also einmal, die Gegenwart und auch die Vergangenheit zu bewerten. Gerade beim Beispiel Putin gab es schon vor 20 Jahren warnende Stimmen. Man denke an Otto von Habsburg – der Anfang der 2000er-Jahre quasi das vorausgesehen hat, was heute Realität ist. Wiederholt lässt sich aus der Geschichte viel lernen.
Wahrnehmung von Verantwortung heißt immer auch ein sorgenvolles Bedenken der Zukunft. Hierzu darf man sich als Verantwortungsträger und Verantwortungsträgerin keine Illusionen machen. Utopische Vorstellungen, die keinen Ort in der konkreten Wirklichkeit finden oder haben, sind kritisch zu sichten. Das, was man haben möchte, ist nicht immer das, was wahrscheinlich Platz greifen wird. Verantwortung heißt also, die Wirklichkeit ernst zu nehmen. Oft geht man ja nach einem Spruch vor, der einmal auf einer US-amerikanischen Universität zu finden war: „I´ve made up my mind, don´t disturb me with facts - ich habe mir meine Meinung gebildet, stört mich nicht mit Tatsachen”. Wirklichkeitsverweigerung ist nicht Verantwortungsübernahme. Visionen sind wichtig, Utopien etwas für die Literatur.
Die Auswirkungen von Wirklichkeitsverweigerung zeigen sich besonders in Bezug auf Fehler anderer, für die man als Vertreter einer Institution in Haftung genommen wird. Bin ich als Vertreter einer Institution für das verantwortlich, was von anderen vielleicht zu anderen Zeiten getan worden ist, besonders wider besseres Wissen, gedeckt durch die institutionellen Strukturen? Wie leichtfertig wird alles der Macht in der Institution zugesprochen, auch dort, wo auf den ersten Blick keine Handlungsmacht der Beschuldigten gegeben war.
Auf der nächsten Seite von „Die Zeit“ (9) ist unter dem Titel „Ich bleibe im Herzen Aktivistin“ ein Interview mit der Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan, abgedruckt. Sie war Chefin von Greenpeace, also eine Aktivistin für die Umwelt, und steht jetzt als Teil der Regierung sozusagen auf der anderen Seite. Von ihrem ehemaligen Arbeitgeber und anderen NGOs sagt sie: „Sie müssen fordern, dass wir hundertprozentig in Richtung erneuerbare Energie gehen …“ Dem hält sie dann entgegen: „Als Regierung haben wir aber eine andere Verantwortung.“ Auf die Nachfrage der Interviewerinnen: „In ihrer Zeit bei Greenpeace ging es auch darum, mit Aktionen gegen die Regeln des Rechtsstaats zu verstoßen, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Jetzt sind sie auf der anderen Seite und müssen die Regeln streng einhalten. Meinen Sie das mit der Verantwortung?“ antwortet die Staatssekretärin: „Ja, ich meine nicht, dass ich bestimmte Dinge jetzt nicht mehr sagen oder fordern darf … Der Unterschied ist, dass man in einer NGO alles Mögliche tut, um Entscheidungen zu beeinflussen. In einer Regierung aber trifft man die Entscheidungen. Dadurch hat man eine andere Verantwortung, man muss verschiedene Ziele miteinander vereinbaren.“
Offensichtlich bedeutet es etwas anderes, Verantwortung von anderen einzufordern, Entscheidungen anderer zu erwarten, als Verantwortung selbst zu tragen. Unser Platz in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft bestimmt unser Wirken in Bezug auf Verantwortung. Das zu bedenken ist bei jeder Forderung an Verantwortungsträger wichtig; auch an sich selbst. Deswegen gilt es, sich bei der Forderung an andere bewusst zu machen, was dies für den oder die andere und die anderen bedeutet. „To take the part of the other“, die Rolle und die Herausforderung dessen, an den sich die Forderung richtet, mit zu bedenken, das ist verantwortungsvoll. Dies schließt auch die Bereitschaft ein, alles zu tun, was ich selbst tun kann, ja muss, um meine erhobene Forderung zu verwirklichen. Dazu müssen die verschiedenen Positionen zusammengedacht, der Blick auf das Gemeinwohl geöffnet werden, um nicht in Verantwortungsschizophrenie zu enden.
Unter welch schwierigen Bedingungen Amtsträger Verantwortung zu tragen haben, zeigt sich im Kontext des Ukraine-Krieges im Bericht über vier Bischöfe verschiedener christlicher Konfessionen auf Seite 66 derselben Nummer von „Die Zeit“ unter dem Titel: „Sie wollen nicht fliehen“. Im Kriegsgebiet die Entscheidung zu treffen, ob man die Flucht ergreift oder im Bombenhagel bleibt, das ist eine die Verantwortung fast zerreißende Frage. So sagt der römisch-katholische Bischof von Charkiw, Pawlo Honszaruk: „Ob ich vor der nächsten Offensive fliehe? Nein, solange Gläubige in der Stadt sind, bleibe ich bei ihnen.“ Eine für den Bischof wie auch für die Gläubigen folgenreiche Entscheidung und ein Höchstmaß an Verantwortung für seine Gemeinde, die mein Amtsbruder zu übernehmen bereit ist.
Soweit zu den Beispielen, nun noch ein paar weiterführende Gedanken. Verantwortung hat zwei wichtige Bezugspunkte: Einmal die Würde des Menschen - und zwar aller Menschen. Und einmal das gesellschaftliche Leben, das Gemeinwohl. Das bedeutet etwa im theologischen Zusammenhang alle einzubeziehen, etwa eine Option für die Armen mit den Armen zu realisieren.
Und Verantwortung hat man dort, wo man Handlungsmacht hat. Manchmal stellen wir unsere Möglichkeiten und unsere Macht oft als nicht vorhanden dar, um von anderen Handeln einzufordern. Dies zeigt sich etwa daran, dass Handlungsmöglichkeiten eingefordert werden, die aufgrund der Struktur der Kirche verschlossen sind, zum Beispiel priesterliche Dienste für Laien. Gerade im Sinne unseres synodalen Weges ist es wichtig, diese Fragen zu thematisieren und Strukturveränderungen einzumahnen und zu konkretisieren. Und ich lade die KMBÖ ein, sich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Macht in der Kirche ist nichts Schlechtes, sondern etwas Notwendiges, es stellt sich allerdings die Frage, wie diese Macht verteilt ist, wie die damit verbundene Verantwortung getragen wird. Macht, wenn sie der andere hat, als negativ zu betrachten, und sie für sich einzufordern, das ist ein Engpass. Wir brauchen Macht, es stellt sich aber die Frage: Was wird mit der Macht gemacht? Es ist also wichtig, Verantwortung zu fordern.
Aber ebenso wichtig ist es auch, dort die Verantwortung wahrzunehmen, wo wir Handlungsmacht haben. So ersuche ich die Männer der KMB, die soziale Verantwortung, die der Kirche aufgetragen ist, wahrzunehmen, das Evangelium also in den gesellschaftlichen Alltag hinein umzusetzen. Hier besitzt ihr Handlungsmacht, die andere so nicht haben – mangels Wissen um die Bedeutung, mangels Interesse, mangels Glauben.
Dies gilt besonders angesichts der großen Krisen in der heutigen Zeit. „Wir sind über den Berg, es geht abwärts!“ Dieser mit schwarzem Humor getünchte Satz drückt die Stimmung vieler Menschen aus. Es gibt wenig Platz für Zuversicht und Hoffnung, dass es besser werden könnte. Die drei großen Krisen, wie sie am Landplagenbild am Grazer Dom dargestellt sind, treffen uns auch heute: die Pest als Pandemie, die Heuschrecken als Umweltzerstörung und die Türken als der Krieg, der in der Ukraine geführt wird. Viele fühlen sich der Verantwortung entbunden, weil man gegen derlei große Dinge nichts machen könne. Dabei macht uns das Landplagenbild darauf aufmerksam, dass unsere Verantwortung in Bedingungen steht, die wir lange negiert haben. Die Pandemie macht uns auf unsere Vergänglichkeit aufmerksam, die wir durch den Fortschritten von Technik und Medizin oft aus unserem Denken ausgeklammert haben. Der Klimawandel verweist uns auf die Begrenztheiten auf die „limits to growth“, um mit einem Buchtitel der 70er Jahre zu sprechen. Auf Begrenzungen im Wachstum, die wir unter Ausbeutung des gemeinsamen Hauses, der Erde, einfach negiert haben und noch immer negieren. Der Krieg in der Ukraine führt uns unsere Abhängigkeiten vor Augen, wie wir sie in der Folge dann in der allgemeinen Kriegsgefahr, die auch uns betrifft, oder in der Inflation sehen.
Diese Situation der Krisen führt uns vor Augen, dass wir verantwortungsvoll nur in umfassenden Strategien handeln können. In Strategien, in denen wir anderen, die vielleicht anders handeln, nicht die Wahrnehmung ihrer Verantwortung absprechen, sondern dass wir uns immer bewusst das gemeinsame Ziel und die wahrscheinlichen Entwicklungen vor Augen halten. Die vielen Krisen bringen die Herausforderung mit sich, diese nicht einzeln lösen zu wollen und damit eine Krise gegen die andere zu stellen, sondern in ihrer Bezogenheit zueinander. Dies bedarf eines spirituellen Zugangs, den besonders die KMB einbringen könnte und sollte: nämlich den Blick auf das Ganze gelungenen menschlichen Lebens für alle offenzuhalten, was im Blick auf Gott ermöglicht wird. Das fordert uns, sind wir doch uns selbst gegenüber, den anderen gegenüber und Gott gegenüber verantwortlich. Wir haben also eine Antwort im Blick auf die dreifache Liebe, die Selbst-, die Nächsten- und die Gottesliebe zu geben. Dadurch erfährt unsere Verantwortung Konkretisierung.
„Wieviel wiegt Verantwortung?“ Der kleine Walter weiß prompt eine Antwort auf diese Frage: „Sieben Kilo!“ Auf die erstaunte Frage warum, antwortet er: „Gestern gingen wir auf einen Berg, mein Onkel und ich. Ich trug den Rucksack, mein Onkel sagte, er trage die Verantwortung. Der Rucksack wog sieben Kilo.“
Es gilt, Verantwortung konkret zu machen und es darf nicht sein, dass andere die Last zu tragen haben, während wir uns auf abstrakte Verantwortung im Vagen zurückziehen. Das bedeutet zu große Schuhe für beide Seiten. Das Schöne für uns Christen ist: Wir brauchen uns nicht zu fürchten und nicht zu verzagen, denn Gott ist mit uns. Bei aller Verantwortung sind wir nicht allein. Gott ist mit uns, wie er es mit vielen großen Verantwortungsträgern war, mit Mose, mit David, mit Jesus Christus.
In diesem Sinne wünsche ich der Sommerakademie Gottes Segen und einen guten Verlauf im Wahrnehmen von Verantwortung in ihrer Vielschichtigkeit, damit die KMB weiterhin ein wichtiger, ein verantwortlicher Teil in der Neuevangelisierung sein kann.