Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
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Liebe im Religionsunterricht Stehende!
Liebe Verantwortungsträger für den katholischen Religionsunterricht!
Sehr geehrte Damen und Herren der Schulverwaltung!
Am 14. Juni 2015 wurde ich zum 58. Bischof der Diözese Graz-Seckau geweiht. Heute, kurz vor Beginn eines neuen Schuljahres, treffe ich hier in meiner ehemaligen Wirkungsstätte mit einem Großteil derer zusammen, die sich in unserer Heimat tagaus, tagein engagieren, dass die Rede von Gott, der die Liebe ist, nicht verstummt. Zu Beginn dieses Arbeitsjahres und der Zeit meines Dienstes möchte ich daher mein "Vergelt's Gott!" und mein "Gemma's an!" erneuern, das ich gleich nach meiner Ernennung übermittelt habe. Ich möchte dies in zwei Schritten und anschließenden Bitten tun:
Im Text, den ich Ihnen zukommen lasse, stehen darüber hinaus manche Erläuterungen darüber, wieso ich gerado so und nicht anders denke und spreche.
1. Wahrnehmungen in unserer Gesellschaft[1]
"Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe"[2], hat der verstorbene Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, schon vor mehr als 30 Jahren in einem Artikel über Kirche und Jugend jene Art Evangelisierung benannt, die mir für das 21. Jahrhundert angemessen erscheint. Und tatsächlich: in dem, was sich vor unseren Augen abspielt, "hilft" uns Gott, uns und das uns anvertraute Evangelium neu buchstabieren zu lernen. Denn in der Welt, wie sie uns begegnet, begegnet uns Gott längst schon bevor wir ihn benennen und mit unserem Dienst sicht- bzw. greifbar machen.
Was also nehme ich wahr? Was "höre" ich derzeit in der Welt an Vorgängen? Und was "höre" ich angesichts auch all dessen, was wir uns hin auf das Diözesanjubiläum vorgenommen haben?[3] Einiges möchte ich in Übereinstimmung mit den Leitzielen des "Weg2018" unserer Diözese benennen. Ich meine, dass in diesen Vorgängen Gott selbst zu uns spricht und uns förmlich mahnt, nach den Konsequenzen im Leben der Nachfolge zu fragen.[4] Vier Bereiche möchte ich benennen.
Papst Franziskus hat mit seiner Enzyklika "Laudato si" einen flammenden Appell für das "gemeinsame Haus Welt" an alle Menschen gerichtet. Wir sind als Menschen in diese unsere Welt hineingestellt und daher auch gerufen, sie nach seinem Bild und Willen zu gestalten. Wir merken auch im Eigenen unserer Erfahrungen, wie notwendig das Wahrnehmen, ja das "Hören" auf die vielen Stimmen in diesem unserem gemeinsamen Haus ist (oikos - und damit "Ökologie" im umfassenden Sinn). Wir können uns nicht abschotten und bloß sezierend die eine oder andere Fragestellung analytisch behandeln: Es geht um die Welt und in ihr um das Zueinander und Miteinander der Geschöpfe, zu denen auch wir als Menschen und Christen gehören. Vielfach macht Papst Franziskus deutlich: wenn uns die Freude des Evangeliums antreibt, dann gilt es, die Menschheit im Blick zu haben und damit die Welt.[6] Für mich äußerst interessant war bei der Lektüre der Enzyklika auch die Tatsache, dass sie nicht nur eine "Öko-Enzyklika" ist, sondern durch die Zusammenschau der verschiedenen Ebenen deutlich macht, dass ökologische Fragen direkt mit sozialen und anthropologischen (Humanökologie) Fragen zusammenhängen. Diese genuine Weltsicht aus dem Evangelium heraus tut not; mehr noch: Welche Fragen kommen in uns hoch angesichts der dort zahlreich angerissenen Themenstellungen? Welche Fragen sind bei uns vordringlich und dem entsprechend in die Debatte einzubringen?
Ich danke aufrichtig für die persönliche Auseinandersetzung und das vielleicht mühsame Erarbeiten und Teilen solcher Überlegungen mit den uns anvertrauten Schülerinnen und Schülern. Zugleich ermuntere ich, die Zumutung unseres Papstes ernst zu nehmen und ins Bedenken für unser Kirchesein auf allen Ebenen deutlich mit hinein zu nehmen.
1.2 "Eine" - sich verändernde - Welt
In den letzten Monaten wird uns unter anderem durch das, was Papst Franziskus "3. Weltkrieg" nennt, von der schmerzlichen Seite deutlich, dass wir uns nicht von dieser unserer Welt dispensieren können. Etwa 80.000 Asylwerbende werden heuer in Österreich erwartet. Weltweit sind etwa 60.000.000 Menschen auf der Flucht, von denen 90% in ihrer Region beiben; rund 1.000.000 Menschen wird wohl nach Europa aufbrechen, um zu rund 500.000.000 hier Wohnenden hinzu zu kommen.[7] Ich weiß um die Emotionen, die in unserer Gesellschaft diesbezüglich hochgehen, auch weil die nötigen Differenzierungen zwischen den Frage- und Problemstellungen "Asyl" - "Zuwanderung" - "Ermöglichung von Lebensmöglichkeiten vor Ort" nur selten benannt und mitunter verschwommen artikuliert werden. Auf alle Fälle aber danke ich allen, die sich hier engagieren - ob in Gesellschaft oder in unserer Kirche, weil es zunächst Menschen sind, die hilfesuchend anklopfen. Zugleich bitte ich mit aller Ernsthaftigkeit darum, sich all den damit in Zusammenhang stehenden Fragen des Miteinanders und des Aufeinanders zu stellen. Immer wieder.
Ich weiß: die Welt wird durch Gott gerettet, aber es gilt - zumindest für uns - deutlich zu machen, dass wir unserem Auftrag, den Menschen nahe zu sein, und das, weil sie uns zu Nächsten geworden sind, entsprechen. Gott hat eben seine eigene Sprache und mit ihr schafft er es immer wieder, unsere Planungen und wohldurchdachten Überlegungen gehörig durcheinander zu bringen. Dies kann auch durch Herausforderungen wie der Flüchtlingsproblematik der Fall sein. Gerade hier aber braucht es Antworten, die Leid und Elend hintanhalten können.
Wo also laden wir als VerantwortlungsträgerIn der Kirche ein, die Herausforderungen der zusammenwachsenden Welt ins Gespräch einzubringen?
Wo initiieren wir Überlegungen, sich diesen zu stellen?
Wo wird unkompliziert Platz geschaffen und wo werden Räume geöffnet, in denen Menschen auch ihre Sorgen und Nöte angesichts all dessen zum Ausdruck bringen können - und: wo teilen wir unsere Erfahrungen darüber mit?
Wo nehmen wir dankbar auch das Engagement der vielen zur Kenntnis, die jenseits unserer Weltanschauung sich einbringen?
Wie versuchen wir, jeder und jede von uns, den Misstönen und Untergriffen Einhalt zu gebieten?
Als Kirche in der Steiermark haben wir in guter Zusammenarbeit zwischen Caritas, Ordinariat und Pfarren einiges an Notlinderung durch Quartiersuche und Quartiergabe geleistet[8], auch das bischöfliche Spendenkonto "refugio" mit seinen dort derzeit ca. 90.000 eingegangenen Euro(Stand August) leistet da einen Beitrag. Da wurde und wird darüberhinaus auch Geld in die Hand genommen - vor Ort und vor allem aus dem diözesanen Budget. Auch dafür ein großes "Vergelt's Gott!" Es ist hier aber auch Meinungsbildung zu betreiben - es geht um Menschen! - mit den Verantwortlichen in den Gemeinden, mit unseren Engagierten, mit der Bevölkerung. Da sind Denk-, Sprach- und Meinungszäune niederzureißen, denn jeder Mensch hat eine unteilbare Würde, wenn wir uns selbst und erst recht zu uns Nenschen "heruntergekommenen Gott" ernst nehmen.
Es gilt, dies auf den unterschiedlichen Ebenen zu tun, denn: es wird mit unseren Gesetzen geklärt, wer Anrecht auf das Menschenrecht Asyl hat. Es gibt aber auch die Fragestellung der Zuwanderung, die sich in Zukunft wohl immer stärker stellen wird - ich denke an die Bevölkerungsentwicklung bei uns, aber auch an die Folgen des Klimawandels, der von uns mitverursacht wohl zig Millionen weltweit, v. a. in Afrika, in Hinkuft der Lebensgrundlagen beraubt. Und: es gibt die Fragen rund um unseren Beitrag zur Ermöglichung des Lebens vor Ort.
Ich glaube, dass wir uns den Herausforderungen, Kirche zu leben und zu erfahren inmitten einer sich immer wieder ändernden Gesellschaft, wohl die nächsten Jahre, ja Jahrzehnte zu stellen haben. Das, was sich vor unseren Augen derzeit abspielt, ist eine Wegweisung, die es ernst zu nehmen gilt, um unsere Glaubwürdigkeit zu leben.
Wir leben aus dem, was uns auch geistesgeschichtlich über Jahrhunderte begleitet. Dankbar atmen wir die Luft der Freiheit des Individuums, die uns schon in der Heiligen Schrift begegnet. Jeder und jede ist persönlich angesprochen von Gott, wir sind einander geschenkt und dazu berufen, dies den Menschen um uns erfahrbar zu machen.[9] Derzeit erfahren wir aber auch - wohl aufgrund der sich immer komplexer gestaltenden Welt - einen Schub mitunter krankhaften Individualismus', der das Heil und die Welt nur mehr bei und in sich sucht und daher sich von den anderen abschottet[10]. Die Frage nach dem Eingebettet-Sein des "Ich" in das Wir stellt sich mit Vehemenz neu.[11] Der Rückzug auf sich selbst - und davon sind nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Institutionen betroffen - scheint der einzige Ausweg zu sein.[12] Auch wenn ich nicht weiß, wer ich wirklich bin: mich abzugrenzen scheint zunächst das Logischste zu sein. Durch das Internet und die neuen Kommunikationsmittel und -techniken sowie die sogenannten "sozialen Medien" verstärkt sich dieses Fragen. Ich behaupte sogar, dass das Unverständnis anderen gegenüber wächst - sichtbar unter anderem in den härter werdenden Tönen im Miteinander, und da meine ich nicht nur Fremdenfeindlichkeit, sondern auch den normalen Umgangston zwischen den Menschen. - All das sage ich im Wissen um die vielen, vor allem junge Menschen, die sich engagieren und Hand anlegen, die nicht fragen, sondern einfach helfen wollen.
Auch hier sage ich zunächst Danke all jenen, die sich aufmachen in unserer Steiermark, um Sinn und Wert zu verbreiten, um damit jenes "Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter, unendlich viel wert!" hautnah erfahrbar werden zu lassen inmitten einer Welt, die im Kleinen der Familien etc. oft schon mehr als zerrissen und uneins begegnet.
Zugleich gilt es, dem Evangelium der Liebe, die Gott ist, noch deutlicher zum Durchbruch zu verhelfen, damit Identität nicht weiterhin als Abgrenzung, sondern aus der vorangehenden Bejahung durch Gott aus Hingabe erfahren wird.
Ein weiterer Grundton, den ich wahrnehme und höre, ist der der Familie. Dieser ist freilich nicht neu - ein ganzheitlicher Blick auf die Botschaft der Bibel macht auch - heilsam für die heutige Debatte - deutlich, dass im Zusammenleben der Menschen in Familien Gott Heil in unterschiedlichsten Konstellationen geschaffen hat. Allein der Blick auf den Stammbaum Jesu reicht hierfür aus. Gelingen, Brüchigkeit und Scheitern der Keimzelle von Gesellschaft und Kirche begleiten uns die Jahrhunderte herauf.[13] - An der Schwelle zur kommenden Bischofssynode, die vor allem in unseren Breiten mit vielen Erwartungen zu einigen Fragestellungen verbunden ist, wird das gesamte Feld von Ehe und Familie neu vor uns aufgebreitet.
Ich danke all jenen, die sich in unserer Diözese über Jahrzehnte herauf mühen, Gelingen sowie Herausforderungen in diesem sensiblen Bereich menschlichen Daseins zu begleiten und mitunter auch feststellen (müssen): "Vielfach werden wir mit der frohmachenden Botschaft, die uns anvertraut ist, nicht gehört." Daher erwachsen mir auch hier aus dem Hinhören einige Fragen: "Ist die Rede von 'Ehe' und 'Familie' für uns als Diener und Dienerinnen der Kirche Evangelium? Oder sind wir Menschen, die nur das Scheitern im Blick haben und sich in der Meinung förmlich mitreißen lassen, sodass zunächst scheinbar 'alles den Bach hinuntergegangen' zu sein scheint?" Diese Frage zu stellen bedeutet für mich nicht, all den Herausforderungen auszuweichen, die sich auf dem Gebiet des Miteinanders stellen. Wer meine Familie kennt und meinen Dienst, den ich die Jahre herauf, so gut es geht, auszuüben versuchte, der weiß auch darum, dass diese Dauerthemen für mich waren. Und gerade deswegen: Lassen wir uns wirklich auf die Vielfalt ein, die uns in den Fragen des Miteinanders von Menschen begegnet, oder meinen wir, dass Regeln, egal ob lax oder rigoristisch angewendet und verkündet, ausreichend für ein tragfähiges Lebensfundament sind? Nehmen wir als positive Herausforderung für unser Denken und unsere Seelsorge wahr, wie viele Menschen sich nach einer stabilen Beziehung in Familie und Werten wie Treue etc. sehnen? Was bieten wir all jenen an, die das Miteinander in Liebe wagen - trotz allem, was im Umfeld des eigenen Daseins auch daneben gegangen sein mag? Wo - um es provokant zu formulieren - schätzen wir, dass jene, die etwa auch bewusst "ja" sagen zu Kindern, eigentlich uns evangelisieren?
Wie gesagt: ich habe vier Mal hingehört und Themenblöcke benannt.
Es sind keineswegs alle. Und diese sind auch alles andere als vollständig durchdekliniert.
2. Religionsunterricht inmitten dieser Gesellschaft
All die eben genannten und noch viele andere Fragestellungen in ihrer Komplexheit begegnen tagaus, tagein denen, die in unseren Schulen lehren, und damit Ihnen und Euch im Verkündigungsdienst unserer Kirche.
2.1 Die Bedeutung des Religionsunterrichts aus meiner Sicht
Wenn ich es recht sehe, dann gibt es derzeit rund 1.000 Personen, die für den Glauben und unsere Kirche inmitten derer, die als Kinder und Jugendliche diese Gesellschaft mit ihren Fragen repräsentieren, täglich als Religionslehrerinnen und Religionslehrer eintreten - in den verschiedensten Schultypen und Altersklassen, also von der Voksschule bis zur Matura, bei Lehrlingen genauso wie bei Gymnasiasten. Mitten in der Schul-Welt, und dabei in den unterschiedlichsten Situationen, leisten sie eine wichtige und wertvolle Arbeit als Kirche. Durch sie verstummt die Gottesrede und damit auch die "Offenheit für letzte Fragen", jene also, die über das Hier und Jetzt hinausgehen, nicht. Kinder und Jugendliche mit einer ganz persönlichen Geschichte werden in ihrem Fragen und Suchen ernst genommen. "Vergelt's Gott!" dafür!
Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Orientierung heutiger Kinder und Jugendlicher inmitten dieser sich immer komplexer darstellenden Welt, indem sie nicht vorgeben, wertfrei zu sein, sondern klar und deutlich bekennen, für wen Sie stehen, für wen Sie gehen. Ihr Einstehen ist mitunter in der Klasse, aber wohl auch im Konferenzzimmer alles andere als leicht. Aber weil Sie einen unersetzbaren Dienst zur Persönlichkeitsbildung und -werdung sowie zur Schul- und Feierkultur leisten, machen Sie deutlich: um des Menschen willen treten wir als Kinder des Evangeliums ein gegen jede Form der Funktionalisierung des Menschen. Wir leisten damit einen wichtigen, oft unbedankten Dienst an der Gesellschaft, weil wir damit einen bedeuteten Gegenpol zu einer rein ökonomisch bestimmten und ausgerichteten Schule, zu reiner Leistungsorientierung und fern von rein ökonomisch gedachten Bildungsstandards setzen.
Das Eintreten für und die Einladung zu einem Leben aus unserem Glauben in seiner schönen, breiten und tiefen, ja freudvollen Gestalt fördert eine gesamtmenschliche Bildung, die die Dimension Religion einzuschließen hat und sich gegen Fundamentalismen jeder Art wendet. Durch die Vermittlung des gesamten Inhalts unserer Glaubenslehre wird darüber hinaus ein unverzichtbarer Beitrag zum Miteinander unter den christlichen Kirchen und im interreligiösen Dialog geleistet. Damit sind jene, die im Umfeld Schule für Religion eintreten, bedeutsame Unterrichtende der Integration, wie es mein Vorgänger an dieser Stelle im Vorjahr betont hat. Ja: umfassende Bildung, die die Beziehung zu Gott als wesentlichen Bestandteil geglückten Menschseins einschließt, scheint der einzige Weg zu sein, Menschen gegen politische und religiöse Unrechtssysteme zu stärken. Am Dialog der Religionen und auch mit der säkularen Welt führt, wie die Erklärung von Graz lehrt, kein Weg vorbei!
Schließlich, all jene, die Religion unterrichten, bauen mit an Kirche vor Ort. Zunächst durch den Dienst der Verkündigung als wichtigem Pfeiler kirchlichen Daseins. In der schulisch immer bedutsamer werdenden Arbeit der Schulpartner wirken Sie aber auch als wichtige Beziehungsarbeiterinnen und -arbeiter zwischen den Kindern und Jugendlichen, unter den Lehrenden und den Eltern und miteiander. Weil Sie Kirche auf einer ganz bewusst von Ihnen gelebten Säule gestalten sind Sie gemeinsam mit den Pfarren und den vielen anderen Orten an denen Kirche als Dienst am Nächsten, als Feiernde oder auch im unverzichtbaren Miteinander erfahrbar wird, ein wichtiger Ort des vielfältigen Lebens derer, die sich in unserer Heimat zu Christus bekennen. Ich erlebe viel Engagement, ich erlebe aber auch alle möglichen "Abnützungserscheinungen", Beschwernisse und Fragen, Sorgen und Freuden also, die diese Arbeit mit sich bringt.
2.2 Weg in die Zukunft
Um in die Zukunft zu gehen, braucht es jene Art, sich selbst zu verstehen, von der Klaus Hemmerle in dem eingangs zitierten Satz gesprochen hat. Diese Arbeit bleibt mir und niemand von denen erspart, die für den Auferstandenen im Umfeld Schule eintreten. Diese Art, sich selbst zu verstehen und damit auch Evangelium zu verkünden, ist jene Verheutigung der Frohbotschaft, die ihre erneuernde Kraft aus und in der Begegnung mit dem lebendigen Christus sucht, der uns in der Heiligen Schrift entgegentritt. Der konfessionelle Religionsunterricht wird daher auch in Zukunft einer sein, der nicht hinter dem Busch hält mit dem, was ihm grundlegend in Offenbarung und Lehre der Kirche geschenkt ist.
In einem sich rapide verändernden Umfeld, das Schule heißt - wegen der Rahmenbedingungen, die uns der Gesetzgeber vorgibt, aber auch und vor allem wegen der sich immer wieder erneuernden Kinder und Jugendlichen, die sich in dieser Welt zurechtfinden wollen -, werden die Unterrichtenden auch in Zukunft Zeit, Kraft und Energie an den Tag legen müssen, um glaubhafte Übersetzerinnen und Übersetzer für die grundlegenden Fragen des Menschen nach dem Woher, dem Wohin und dem Sinn des Daseins zu sein. Mehr noch: mit Ihrem Dienst machen Sie sich täglich, nein eigentlich schul-stündlich auf den Weg, die "Sprache für Religiöses" zu finden, in der die Ihnen Anvertrauten suchend unterwegs sind.
Sie gehen dabei mit Kindern und Jugendlichen, die in ihrem Leben unterschiedlichste Beziehungs- und Familienformen erleben, und Sie sind die weit ausgestreckten Arme der Kirche zum Heute der Menschen hin. Heterogenität, Diversität, die heutige plurale Gesellschaft und auch die pluralen Formen von Religion und des Christseins nehmen Sie ernst und fragen zugleich: Was hat Christus ihnen und uns zu sagen? Damit machen Sie sich auch und zugleich auf die Suche nach Gott mit jenen, denen Gott und Kirche fremd geworden sind. Ich kann mir vorstellen und weiß zumindest ansatzweise darum, dass dieser Dienst alles andere als pures Honigschlecken ist, zumal auch deswegen, weil die Erwartungen so unterschiedlich sind, und wohl auch, weil aus dem eigenen kirchlichen Umfeld immer wieder schier Unmögliches gefordert scheint, was kirchliche Sozialisierung anlangt. Allerdings gilt: wer, wenn nicht der Religionslehrer, die Religionslehrerin, ist aufgrund ihres Dienstes ganz nah dran "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Bedrängten und Armen" (GS 1) auf den unterschiedlichsten Ebenen zu teilen - in den Herausforderungen der Migration genauso wie in den vielen Fragen und Problemen der Inklusion, mit den an der Schule Leidenden genauso wie mit jenen, die nicht mitkönnen mit all den Anforderungen einer Leistungsgesellschaft. Als den Menschen Verpflichtete leisten Sie einen für meine Begriffe unverzichtbaren Dienst an und mit den Menschen - auch und gerade mit Ihren persönlichen Stärken und Schwächen, mit Ihrem persönlichen Suchen, Unterwegssein und festen Glauben.
2.3 Die Religionslehrerin bzw. der Religionslehrer als Zeuge
Ich wünsche Ihnen daher für sich selbst Freude und Zuversicht durch ein immer größeres Hineinwachsen in die Schätze, die unser Glaube uns bietet. "No na net", höre ich einige sagen. "Wagen wir aber wirklich den Sprung, der Glauben bedeutet?" Haben wir es uns nicht in so manchem sehr zurechtgerichtet - vielleicht auch, weil wir "Professionisten" sind, gut ausgebildet und mitunter schon abgebrüht? Wie leben wir unser Unterwegssein zur Vollkomenheit und Heiligkeit, unser "nicht von dieser Welt Sein"? Was heißt es, sich selbst verlassen und Gott alles anvertrauen? Was heißt "Glauben leben"? Und: was bedeutet es, sich selbst gegenüber eingestehen zu dürfen, zu müssen: Es geht mir nicht nur um meine persönliche Überzeugung, sondern als jemand, der Unterricht leistet, und zutiefst darum, das Gesamt dessen zu vermitteln, was unseren katholischen Glauben auszeichnet, damit wir denen, die uns anvertraut sind, tatsächlich die Möglichkeit eröffnen, sich auf den Weg mit Gott einzulassen, weil er ihnen bekannt gemacht wurde? Es geht also nicht um uns und unser dauerndes "100%-Überzeugt-Sein". Es geht vielmehr um Gott und darum, dass Seine Herrschaft durch unser Zutun deutlicher Konturen annimmt inmitten der Menschheit, die uns umgibt. Unser Dienst gelingt demnach dann, wenn wir uns selbst "unter das Geheimnis des Kreuzes" stellen.
3. Ausblick
3.1 Gehen wir einander vertrauend als Kirche der Steiermark voran!
Ich gehe voll Zuversicht hinein in diesen Dienst für die Kirche in unserer Steiermark. Die ist alles andere als blindes Vertrauen. In meinen seelsorglichen Aufgaben, in die ich bislang gesendet war, und in den Verantwortungsbereichen, die mir in den vergangenen 25 Jahren als Priester zugemutet waren, war ich zu einigem herausgefordert. Diese Zuversicht ist deswegen voller Hoffnung, weil ich mich auf Seine Nähe, Sein Mit-Uns-Sein verlasse, auch jetzt und gerade heute in den unterschiedlichen Anforderungen, die wir benennen können und wohl auch im Kopf haben.
Gerade darum bitte ich um Euer/Ihr Vertrauen. Es kann nicht gefordert, sondern nur geschenkt werden; ich werde meinen Beitrag dazu zu leisten versuchen, dass ich es auch verdiene. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, dass es Situationen zu geben scheint oder auch gibt, die dieser Bitte widersprechen. Denn: jede/r von uns hat ja ganz eigene Vorstellungen von dem, was nötig wäre; ich habe ja auch meine ganz persönliche Sichtweise usw.
Gerade deswegen lade ich ein: bringen wir untereinander jenes Grundvertrauen mit, ohne das keine (!) wirkliche Begegnung möglich ist. Schalten wir nach Möglichkeit nicht gleich ab, wenn ein Gedanke von jemandem gebracht wird, der in meiner Welt so nicht vorkommt. Anders ausgedrückt: gehen wir frei auf unser Gegenüber zu und begegnen wir einander mit jenem Wohlwollen, das uns als Christen zuinnerst ausmacht. Also: nehmen wir uns als Brüder und Schwestern ernst, nicht als "die da " und "jene", nicht als "die im rechten" oder auch "die im linken" Lager. Wir wissen uns alle im Dienst an den Menschen - und geben wir uns dieses Vor-Vertrauen, dass es dem/der Andere/n auch um genau dasselbe geht. Nehmen wir also einmal prinzipiell an, dass der/die neben mir meine eigene Ansicht ergänzt und erweitert und mich daher einlädt, dem Ganzen der Sachlage vertiefter zu begegnen, als wenn ich allein es tun würde.
Daher: Auch wenn es den ersten Schritt zu einem solchen Lebensstil von mir auf den anderen/die andere zu braucht, machen wir ihn! Es ist im Übrigen der Lebensstil Gottes, der in Jesus Christus den ersten Schritt auf uns zu gemacht hat. So hoch wollen wir es dann wohl auch legen. Diese Art des Umgangs hat auch Papst Franziskus in Erinnerung gerufen[14] - er selbst macht deutlich in der Art und Weise wie er seinen weltweiten Dienst versteht und anlegt, welcher Stil des Miteianders damit gemeint ist.
3.2 Lassen wir uns auf unserem Weg aufeinander ein![15]
Ich habe eben aus meiner Sicht Dinge in den Weg unserer Diözese eingebracht, über die nachzudenken ich bitte. Ich tue das in meiner Verantwortung. Ich tue das aus meiner Erfahrung und in der Art und Weise, wie ich eben „gestrickt“ bin. Ich bitte daher, mit diesen Gedanken umzugehen, vielleicht als Erweiterung der bisherigen Ansicht, als Ergänzung, als Korrektur, als Überlegung, die bislang nicht da war, als Frucht dessen eben, was Begegnung ausmacht. Dies ist nämlich weit mehr als "Anhören des Bischofs" oder anderer Verantwortungsträger, um danach wieder zur gewohnten Tagesodnung überzugehen, ist aber auch weit weniger als das Evangelium, wenn ich es überspitzt formuliere.
Ich glaube, dass wir ein solches Zu- und Miteinander zum Wohl der Menschen in unserer Kirche und in der Gesellschaft (!) noch deutlich zu lernen haben. Wenn wir uns wirklich aufeinander einlassen, einander wirklich helfen auf dem gemeinsamen Weg in den Fußstapfen Christi, indem wir nicht voneinander lassen auf der Suche nach dem Willen Gottes im Hier und Heute, dann wird Kirche zu jenem Leib, der uns die je eigene Berufung, in der wir leben, zum Segen füreinander und die Welt werden lässt. Und dieses Zeugnis ist auch heute gefragt, vielleicht mehr als wir zunächst meinen wahrzunehmen. Ich werde daher viel im Land unterwegs sein, um den Raum für ein solches Miteinander auch der Kritik zu eröffnen, damit wir Lernende sind, Seinen Willen zu suchen und zu erfüllen.
Um all das bitte ich in der Überzeugung, dass wir - vielleicht auch trotz der Verwundungen, mit denen unser Leben und unsere Nachfolge gezeichnet sind - uns von dem getragen wissen dürfen, „der Herr ist und lebendig macht“. Ich möchte und werde mit Ihnen/Euch mitgehen!
Ich komme zum Schluss: Was heißt "Kirche in der Schule" leben, um einen Erfahrungsraum von vielen zu benennen, die ich in meinem Grußwort anlässlich der Bischofsweihe benannt habe? Wie gehen wir miteinander um, wenn wir von uns sagen, dass wir unterschiedliche Stärken, Charaktere und theologische Sichtweisen haben? Setzen wir unsere Lebens-Karte auf den, der das Haupt der Kirche ist, oder sind uns unsere eigenen Überlegungen und spirituellen Wege Maß, die wir als DienerInnen in der Kirche jede und jeder für sich leben? Stärken wir einander in unserer je eigenen Berufung bis ins Letzte? Mehr noch: leben wir "im" anderen, "in" der anderen, mit der wir von Gott in dieselbe Sendung geschickt sind? Seien wir wirklich dankbar füreinander angesichts eines so dichten Netzes der Seelsorge: Ja, die Felder sind reif zur Ernte!
Gehen wir also gemeinsam, gehen wir mit IHM voran in der Freude des Evangeliums! Und bitten wir jetzt um Seinen Geist für den Weg, den wir gemeinsam zurücklegen werden.
"Der Geist des Herrn erfüllt das All" (
[1] Mit großem Gewinn habe ich in den vergangenen Wochen meines Urlaubs Klaus Hemmerle "meditiert", dessen 1991 in St. Georgen/Längsee gehaltene Vorträge nach seinem Tod, zum Großteil noch von ihm für die Verschriftlichung überarbeitet, herausgebracht wurden (Hemmerle, Klaus: Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung, hg. v. Peter Blättler, Freiburg i. Br. u. a.: Herder 1995). Ein Austausch und ein diesen "Visionen" entsprechender Lebensstil wird m.E. das Leben (in) der Kirche der Zukunft bestimmen müssen.
Audio-Mitschnitte der Vorträge und der Buchtext selbst können hier aus dem Internet heruntergeladen werden: http://www.klaus-hemmerle.de/index.php?option=com_content&view=article&id=192&Itemid=32 (2.8.2015).
[2] Hemmerle, Klaus: Was fängt die Jugend mit der Kirche an? Was fängt die Kirche mit der Jugend an?, in: Internationale Katholische Zeitschrift 12 (1983) 306-317, hier: 309).
Dieser Beitrag kann hier aus dem Internet heruntergeladen werden: http://www.klaus-hemmerle.de/index.php?option=com_content&view=article&id=446:was-faengt-die-jugend-mit-der-kirche-an-was-faengt-die-kirche-mit-der-jugend-an&catid=23:aufsaetze-und-abhandlungen&Itemid=33 (2.8.2015).
[3] Hier sei an die drei Leitziele des „Weg2018“ erinnert, mit denen wir in unserer Diözese verschiedenes (be)wirken wollen und daher Maßnahmen und Schwerpunkte setzen:
[4] Hier werden keineswegs alle Handlungsfelder benannt. Ich benenne bewusst hier keine innerkirchlichen Handlungsfelder, ist doch die Sendung der Kirche, egal welche Strukturen sie sich gibt, mit den Gegebenhheiten, unter denen sie eben lebt, auszuführen.
[5] Meines Wissens wird auch der Hauptreferent dieser Pfarrerwoche, Prof. Dr. R. Siebenrock ausführlicher auf diese goßes Enzyklika zu sprechen kommen.
[6] Franziskus: Laudato si, 14: "Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle. Die weltweite ökologische Bewegung hat bereits einen langen und ereignisreichen Weg zurückgelegt und zahlreiche Bürgerverbände hervorgebracht, die der Sensibilisierung dienen. Leider pflegen viele Anstrengungen, konkrete Lösungen für die Umweltkrise zu suchen, vergeblich zu sein, nicht allein wegen der Ablehnung der Machthaber, sondern auch wegen der Interesselosigkeit der anderen. Die Haltungen, welche – selbst unter den Gläubigen – die Lösungswege blockieren, reichen von der Leugnung des Problems bis zur Gleichgültigkeit, zur bequemen Resignation oder zum blinden Vertrauen auf die technischen Lösungen. Wir brauchen eine neue universale Solidarität. Wie die Bischöfe Südafrikas sagten, 'bedarf es der Talente und des Engagements aller, um den durch den menschlichen Missbrauch der Schöpfung Gottes angerichteten Schaden wieder gutzumachen'. Alle können wir als Werkzeuge Gottes an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeiten, ein jeder von seiner Kultur, seiner Erfahrung, seinen Initiativen und seinen Fähigkeiten aus."
[7] So Caritas-Präsident Michael Landau im Ö1-Mittagsjournal am 22.8.2015 (http://www.kathpress.at/site/nachrichten/database/71921.html, 22.8.2015).
Der Staatssekretär des Papstes kritisierte jüngst die Polemik in der Migrationsdebatte: "Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hat zur Mäßigung in der Migrationsdebatte aufgerufen. Statt Polemik brauche Europa den Schulterschluss aller für gemeinsame Lösungen in der Flüchtlingskrise, sagte er am Samstag laut italienischen Medienberichten. Auch die Kirche müsse sich fragen, wo sie zur Verhärtung der Positionen beitrage. Sie habe aber das Recht, sich in die Debatte einzumischen, "vor allem in dem Sinne, alle zu offener Aufnahmebereitschaft zu ermutigen und dazu, keine Angst vor dem anderen zu haben, Unterschiede auszugleichen und eine gerechtere und solidarischere Welt zu bauen", so Parolin am Rande eines Besuchs in der römischen Gemelli-Klinik." (http://www.kathpress.at/site/nachrichten/database/72063.html, 3.9.2015)
[8] Österreichweit waren wir hier etwa in der Einsetzung eines "Flüchtlingskoordinators" wegweisend für Diözesen.
[9] Paulus etwa redet von den Charismen als Gaben, die wir haben, damit sie anderen nützen, nicht um uns selber zu befriedigen. Christliche Exitenz ist immer Pro-Existenz, Dasein für, so wie JHWH sich im Dornbusch offenbart: „Ich bin da für euch“ und wie es auch Jesus gelebt und durchlitten hat. Am deutlichsten wird diese "Grundhaltung" christlichen Lebens wohl in Phil 2 mit dem Christushymnus besungen.
[10] Papst Franziskus, Evangelii gaudium 2: "Die große Gefahr der Welt von heute mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht, aus der krankhaften Suche nach oberflächlichen Vergnügungen, aus einer abgeschotteten Geisteshaltung. Wenn das innere Leben sich in den eigenen Interessen verschließt, gibt es keinen Raum mehr für die anderen, finden die Armen keinen Einlass mehr, hört man nicht mehr die Stimme Gottes, genießt man nicht mehr die innige Freude über seine Liebe, regt sich nicht die Begeisterung, das Gute zu tun. Auch die Gläubigen laufen nachweislich und fortwährend diese Gefahr. Viele erliegen ihr und werden zu gereizten, unzufriedenen, empfindungslosen Menschen. Das ist nicht die Wahl eines würdigen und erfüllten Lebens, das ist nicht Gottes Wille für uns, das ist nicht das Leben im Geist, das aus dem Herzen des auferstandenen Christus hervorsprudelt."
[11] Schon Anfang der 90iger Jahre fragte Klaus Hemmerle bei den St. Georgener Gesprächen (in: Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung, 20): "Gelingt heute noch so etwas wie Identität mit sich selbst? Schaue ich nicht in ein fremdes Gesicht, wenn ich in den Spiegel schaue? Leben von Menschen ist heute oft in so ungezählte Funktionen und Rollen zergliedert, daß ein verbindender roter Faden fehlt. Ich komme von einer Rolle in die andere, ich stürze von einer Erfahrung in die andere, und ich bin mir selber wie ein Silbenrätsel, das ich nicht mehr zu einem Wort zusammengesetzt bekomme. Was geschieht in einer Welt, in der wir uns nicht nur voneinander entfremden, sondern uns selbst fremd bleiben? Ich komme mir selbst nur auf die Spur, wenn ich nach der Einheit meines Lebens suche, wenn ich suche, die Einheit meines Lebens zu leben."
Später (60-62) führt er ausführlicher aus: "Wir sind täglich so vielen Informationen ausgesetzt, in so viele unterschiedliche Welten hineinversetzt, von so vielen verschiedenen Ansprüchen in Beschlag genommen, daß wir, überwältigt von alledem, kaum mehr eine glaubwürdige und tragfähige Einheit des Ganzen in unserer Person, in unserem Leben vorfinden. Es gibt da zumindest drei Strategien, in denen wir spontan versuchen, mit dieser Ohnmacht fertig zu werden, die indessen alle nicht bis zur Einheit des Lebens und des Selbstseins durchdringen.
Die erste Strategie: Ich lasse nur noch selektive Wahrnehmung bei mir selber zu. Ich ignoriere vieles von dem, was mir begegnet, schotte mich ab gegen bestimmte Erfahrungen und Bereiche der Wirklichkeit und entwickle gleichzeitig Reaktionsmuster, die ich nicht mehr an der Begegnung mit der Sache oder der Person ausweise, sondern als unabänderliche Vorwegnahmen und Vor-Urteile in mein Leben einbringe. Im gar nicht so weit entfernt liegenden Extremfall führt das zur Entwicklung von Ideologien. Nicht mehr aus der Öffnung für die Sache, nicht mehr aus der nie abgeschlossenen Begegnung mit der Wirklichkeit, sondern aus „Not-wehr“ gegen das „Zuviel“ und „Zu-Kompliziert“ bestimme ich meine Weise, mit dem Nächsten, mit der Geschichte, mit der Welt, mit den Werten und Wirklichkeiten umzugehen. Ein Stück weit geht es nicht anders, wird der Einwand nicht weniger lauten. Aber die Resignation, daß es so sei, schläfert die Gegenkräfte gegen gefährliche Ideologiebildungen bedrohlich ein.
Die zweite Strategie möchte ich mit dem Wort „Reaktionsspaltung“ beschreiben: Ich lebe auf verschiedenen Bühnen und spiele auf ihnen nicht nur verschiedene Rollen, sondern lebe auf ihnen auch unterschiedliche Einstellungen und Grundentscheidungen. Ich bin im Gottesdienst der frömmste Mensch – aber in meinem politischen Verhalten entdeckt niemand etwas von meinem Glauben. Ich bin Protagonist der Familienpolitik – aber wehe, wenn jemand zuhause hinter die Kulissen schaut. Die Welt wird aufgespalten in verschiedene Lebenswelten, in ihnen entwickle ich verschiedene Verhaltensweisen, aber eine gegenseitige „Aussetzung“ meiner Einstellungen aneinander, ein Suchen nach einer umgreifenden Einheit unterbleiben.
Verwandt damit und im Ansatz doch verschieden davon ist eine dritte Strategie: Spaltung meiner Lebenszeit. Die Intensität der Erfahrungen, die Macht der Bedürfnisse und die Überforderung meiner Kräfte des Durchhaltens und Bestehens sind zu stark, um einen durchgehenden und durchtragenden Lebenssinn zu gewährleisten. Das alles wird aufgelöst in den beliebigen Ausschnitt, die Zeit garantiert nicht mehr die gefügte Einheit des Ganzen, sondern erschöpft sich in der pragmatischen Bewältigung des Jeweils. Lebensformen, Lebensbeziehungen, Lebensentscheidungen wird der Anspruch und Sinn von Endgültigkeit nicht mehr zuerkannt. Die Einheit und Beständigkeit des Ich, des Charakters, der Biographie werden grundsätzlich in Frage gestellt. Genügt es nicht, im Jeweils innerlich plausible Erfahrungen zu machen, sich ihnen anzuvertrauen und sie gelassen wieder aufzugeben, wenn sich Neues und anderes zeigt? Erscheint nicht alles andere als Ideologie, als künstlicher Überbau? „Alles“ heißt immer wieder „etwas Neues“; so werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht in eine Konsequenz und Kohärenz hinein zusammengebunden, sondern sie flottieren im Wellenspiel der je neuen Kombinationen.
Dies alles ist nicht aufgeführt, um über die Gewissenlosigkeit, die Schlechtigkeit und Dekadenz unserer Zeit zu lamentieren. Tatsächliche Überforderungen und Ratlosigkeiten treiben in die genannten Richtungen, und es gilt durchaus, die Anfragen an klassische und überlieferte Seh- und Lebensweisen zuzulassen. Dennoch bleiben die Fragen: Wer bin ich? und: Was ist die Welt? Selbstverlust, Weltverlust, Verlust jener Solidarität, die Leben und Zukunft ermöglicht, können in der Tat nicht die Lösung sein."
[12] Vgl. Franziskus, Evangelii gaudium, 78-80:"78. Heute kann man bei vielen in der Seelsorge Tätigen, einschließlich der gottgeweihten Personen, eine übertriebene Sorge um die persönlichen Räume der Selbständigkeit und der Entspannung feststellen, die dazu führt, die eigenen Aufgaben wie ein bloßes Anhängsel des Lebens zu erleben, als gehörten sie nicht zur eigenen Identität. Zugleich wird das geistliche Leben mit einigen religiösen Momenten verwechselt, die einen gewissen Trost spenden, aber nicht die Begegnung mit den anderen, den Einsatz in der Welt und die Leidenschaft für die Evangelisierung nähren. So kann man bei vielen in der Verkündigung Tätigen, obwohl sie beten, eine Betonung des Individualismus, eine Identitätskrise und einen Rückgang des Eifers feststellen. Das sind drei Übel, die sich gegenseitig fördern.
79. Die Medienkultur und manche intellektuelle Kreise vermitteln gelegentlich ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber der Botschaft der Kirche und eine gewisse Ernüchterung. Daraufhin entwickeln viele in der Seelsorge Tätige, obwohl sie beten, eine Art Minderwertigkeitskomplex, der sie dazu führt, ihre christliche Identität und ihre Überzeugungen zu relativieren oder zu verbergen. Dann entsteht ein Teufelskreis, denn so sind sie nicht glücklich über das, was sie sind und was sie tun, identifizieren sich nicht mit dem Verkündigungsauftrag, und das schwächt ihren Einsatz. Schließlich ersticken sie die Missionsfreude in einer Art Besessenheit, so zu sein wie alle anderen und das zu haben, was alle anderen besitzen. Auf diese Weise wird die Aufgabe der Evangelisierung als Zwang empfunden, man widmet ihr wenig Mühe und eine sehr begrenzte Zeit.
80. Es entwickelt sich bei den in der Seelsorge Tätigen jenseits des geistlichen Stils oder der gedanklichen Linie, die sie haben mögen, ein Relativismus, der noch gefährlicher ist als der, welcher die Lehre betrifft. Es hat etwas mit den tiefsten und aufrichtigsten Entscheidungen zu tun, die eine Lebensform bestimmen. Dieser praktische Relativismus besteht darin, so zu handeln, als gäbe es Gott nicht, so zu entscheiden, als gäbe es die Armen nicht, so zu träumen, als gäbe es die anderen nicht, so zu arbeiten, als gäbe es die nicht, die die Verkündigung noch nicht empfangen haben. Es ist erwähnenswert, dass sogar, wer dem Anschein nach solide doktrinelle und spirituelle Überzeugungen hat, häufig in einen Lebensstil fällt, der dazu führt, sich an wirtschaftliche Sicherheiten oder an Räume der Macht und des menschlichen Ruhms zu klammern, die man sich auf jede beliebige Weise verschafft, anstatt das Leben für die anderen in der Mission hinzugeben. Lassen wir uns die missionarische Begeisterung nicht nehmen!"
[13] Hemmerle, Klaus, ebd. 18f.: "Wir leben in einer Zeit, in der es kaum noch Institutionen gibt, die den Menschen und auch die Institution Ehe und Familie stützen und schützen können. Ehe und Familie hat nicht mehr ihren Ort – wie einst einmal – in größeren Lebenszusammenhängen, die in konzentrischen Kreisen das Familienleben entlasteten. Heute kommt oft die ganze Wucht personaler Beziehung auf zwei alleine zu, ohne daß wirklich Dritte oder Vierte da sind. Die Welt hat sich so verändert, daß darin die Lebensbedingungen für Ehe und Familie überaus schwierig sind. Aber wie problematisch ist es für eine Gesellschaft, wenn die kleinste Zelle menschlichen Zusammenlebens nicht eine neue Einheit findet."
[14] Papst Franziskus: Evangelii Gaudium 98-101
"Nein zum Krieg unter uns
98. Wie viele Kriege innerhalb des Gottesvolkes und in den verschiedenen Gemeinschaften! Im Wohnviertel, am Arbeitsplatz – wie viele Kriege aus Neid und Eifersucht, auch unter Christen! Die spirituelle Weltlichkeit führt einige Christen dazu, im Krieg mit anderen Christen zu sein, die sich ihrem Streben nach Macht, Ansehen, Vergnügen oder wirtschaftlicher Sicherheit in den Weg stellen. Außerdem hören einige auf, sich von Herzen zur Kirche gehörig zu fühlen, um einen Geist der Streitbarkeit zu nähren. Mehr als zur gesamten Kirche mit ihrer reichen Vielfalt, gehören sie zu dieser oder jener Gruppe, die sich als etwas Anderes oder etwas Besonderes empfindet.
99. Die Welt wird von Kriegen und von Gewalt heimgesucht oder ist durch einen verbreiteten Individualismus verletzt, der die Menschen trennt und sie gegeneinander stellt, indem jeder dem eigenen Wohlstand nachjagt. In verschiedenen Ländern leben Konflikte und alte Spaltungen wieder auf, die man teilweise für überwunden hielt. Die Christen aller Gemeinschaften der Welt möchte ich besonders um ein Zeugnis brüderlichen Miteinanders bitten, das anziehend und erhellend wird. Damit alle bewundern können, wie ihr euch umeinander kümmert, wie ihr euch gegenseitig ermutigt und wie ihr einander begleitet: »Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt « (Joh 13,35). Das ist es, was Jesus mit intensivem Gebet vom Vater erbeten hat: »Alle sollen eins sein … in uns … damit die Welt glaubt « (Joh 17,21). Achten wir auf die Versuchung des Neids! Wir sind im selben Boot und steuern denselben Hafen an! Erbitten wir die Gnade, uns über die Früchte der anderen zu freuen, die allen gehören.
100. Für diejenigen, die durch alte Spaltungen verletzt sind, ist es schwierig zu akzeptieren, dass wir sie zur Vergebung und zur Versöhnung aufrufen, weil sie meinen, dass wir ihren Schmerz nicht beachten oder uns anmaßen, sie in den Verlust ihrer Erinnerung und ihrer Ideale zu führen. Wenn sie aber das Zeugnis von wirklich brüderlichen und versöhnten Gemeinschaften sehen, ist das immer ein Licht, das anzieht. Darum tut es mir so weh festzustellen, dass in einigen christlichen Gemeinschaften und sogar unter gottgeweihten Personen Platz ist für verschiedene Formen von Hass, Spaltung, Verleumdung, üble Nachrede, Rache, Eifersucht und den Wunsch, die eigenen Vorstellungen um jeden Preis durchzusetzen, bis hin zu Verfolgungen, die eine unversöhnliche Hexenjagd zu sein scheinen. Wen wollen wir mit diesem Verhalten evangelisieren?
101. Bitten wir den Herrn, dass er uns das Gesetz der Liebe verstehen lässt. Wie gut ist es, dieses Gesetz zu besitzen! Wie gut tut es uns, einander zu lieben, über alles hinweg! Ja, über alles hinweg! An jeden von uns ist die Mahnung des heiligen Paulus gerichtet: » Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute! « (Röm 12,21). Und weiter: » Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun « (Gal 6,9). Alle haben wir Sympathien und Antipathien, und vielleicht sind wir gerade in diesem Moment zornig auf jemanden. Sagen wir wenigstens zum Herrn: „Herr, ich bin zornig auf diesen, auf jene. Ich bitte dich für ihn und für sie.“ Für den Menschen, über den wir ärgerlich sind, zu beten, ist ein schöner Schritt auf die Liebe zu, und es ist eine Tat der Evangelisierung. Tun wir es heute! Lassen wir uns nicht das Ideal der Bruderliebe nehmen!"
[15] Seit 2012 sind wir bewusst auf dem Weg hin auf das Diözesanjubiläum 2018. Nach den ersten Jahren, die der Konzils-Relecture mit den Stichworten "Glaube" - "Hoffnung" - "Liebe" gewidmet waren, machen wir uns nun auf die 2. Hälfte dieses Weges. Es gilt hier Danke zu sagen dem Team des Weg2018, das gemeinsam mit den Abteilungen im Ordinariat in den vergangenen Jahren einige Hilfsmittel und Überlegungen für "Weg-Markierungen" vorgelegt und angeboten haben. Die Regioteams haben auf einer anderen Ebene wichtige Arbeit geleistet und meist Fragen in den Regiotagen aufs Tapet gebracht, die die Zukunft der Region betreffen. Bischofsvikar Heinrich Schnuderl ist in Hinkunft besonders mit Aufgaben betraut, die dem Ziel „die Gesellschaft mitgestalten“ spezielles Augenmerk schenken. So wird immer deutlicher, dass wir gemeinsam als Kirche unterwegs sind, um uns im Glauben zu stärken und die Seelsorge neu auszurichten, wie die beiden anderen Ziele für diesen Weg lauten. Diese Besinnung auf das, was unser Auftrag als Kirche im Heute der Steiermark ist, ist eine Art Innehalten, die notwendig ist, war und ist aber auch auf allen Ebenen unseres kirchlichen Lebens notwendig, um nicht einfach zu einer Kirche zu verkommen, die sich bloß 'verwaltet'.