Predigt in der evangelischen Heilandskirche zum Reformationstag

Es ist ein Zeichen großen Vertrauens, wenn zu einem so „durch und durch evangelischen“ Jubiläumstag, wie es der 31. Oktober 2017 ist, ausgerechnet der katholische Bischof eingeladen wird, in der Heilandskirche die Predigt zu halten. Ich danke für dieses Vertrauen, das alles andere als selbstverständlich ist. 

 

Der heutige evangelische Feiertag ist untrennbar mit dem Namen Martin Luther verbunden und mit dem, was man traditionellerweise den Thesenanschlag an die Wittenberger Schlosskirche nennt. Ob es sich nun um „Hammerschläge“ im buchstäblichen oder im übertragenen Sinn handelte, sicher ist: sie erschütterten halb Europa – von den einen als Weckruf zur Erneuerung der Christenheit bejubelt, von anderen als Zerschlagen der christlichen Einheit des Abendlandes beklagt. Viel wurde in den vergangenen 500 Jahren darüber geredet und geschrieben: Polemisches und Versöhnliches, Simplifizierendes und Differenzierendes, Oberflächliches und Tiefsinniges. Ich kann dazu nichts Neues beitragen. Ich möchte Ihnen aber heute sagen, wofür ich als katholischer Christ Martin Luther dankbar bin. Den Bann aus Rom kann ich nicht aufheben, muss ich auch gar nicht, denn dieser endete ohnedies mit Luthers Tod; Heiligsprechen muss ich Luther auch nicht, es wäre wohl das letzte, was er sich wünschen würde; ich will nur schlicht Danke sagen. Und es freut mich, dass viele katholische Männer und Frauen diese Dankbarkeit teilen. Papst Franziskus hat das in einem Interview einmal spontan so in Worte gefasst: Martin Luther „hat einen großen Schritt getan, als er das Wort Gottes in die Hände des Volkes legte“ (Interview mit der schwedischen Jesuitenzeitschrift Signum, Vatikan, 24.9.2017). Dafür bin ich Martin Luther dankbar. Und das kann und will ich auch gerne mit Ihnen feiern.

 

Ich möchte heute aber auch noch an einen anderen Mann namens Martin erinnern: an Martin Brenner, einen meiner bischöflichen Vorgänger, der vor vier Jahrhunderten im Auftrag und mit Hilfe des Landesfürsten Erzherzog Ferdinand unerbittlich gegen alles „Lutherische“ in diesem Land vorging. Auch er predigte in vielen steirischen Kirchen vor Evangelischen, aber er predigte vor allem gegen sie. Er nötigte sie mit inhumanen Mitteln zu einem fragwürdigen Eid, der sie in großer Zahl zumindest äußerlich der katholischen Kirche zurückbrachte. Denn wer weiterhin seinen evangelischen Glauben offen bekennen wollte, musste unser Land verlassen, nicht nur Hab und Gut zurücklassen, sondern auch minderjährige Kinder. Wie groß mag der Schmerz in diesen Familien gewesen sein! Ich schäme mich für das unmenschliche Vorgehen meines Vorgängers und bitte um Vergebung für all das unsägliche Leid, das katholische Kirchenführer evangelischen Menschen in diesem Land angetan haben.

Ungefähr zur selben Zeit, als Martin Brenner in der Steiermark wirkte, wurde im lutherischen Schweden den Menschen verboten, römisch-katholisch zu sein, und 1617 führte König Gustav II. Adolf für Katholiken sogar die Todesstrafe ein. Ich erwähne das nicht, um Leid gegen Leid aufzurechnen. Das ist unmöglich. Ich benenne das, weil es zeigt, wie verblendet Christenmenschen aneinander gehandelt haben – vermutlich aus fester Überzeugung, das Richtige zu tun. Bekenntnis richtete sich gegen Bekenntnis. Man beschuldigte sich gegenseitig, das Evangelium zu verfälschen und zu zerstören. Der Polemik der Worte folgte der Kampf mit politischen Mitteln. Zuletzt schreckte man sogar vor der Zerstörung von Leib und Leben des Anders-Bekennenden nicht zurück.

Wie bedrückend, wenn verfolgte Christen beim Wort, das wir heute aus dem Matthäusevangelium gehört haben: „...fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten...“ an Menschen denken mussten, die sich auch Christen nannten und auf ihr christliches Bekenntnis stolz waren! Ein ehrlicher Blick in die christliche Konfessionsgeschichte tut uns gut und macht uns demütig. Er lässt uns vielleicht auch das Wort Gottes besser verstehen. 

 

Im Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, den wir vor der Predigt gehört haben, spricht Christus zu uns:  „Wer mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel …“

Er sagt nicht: Wer sich zu dieser oder jener Konfession bekennt …, wer sich zu dieser oder jener Kirche bekennt …, wer dieses oder jenes Glaubensbekenntnis aufsagt … wer aus diesem oder jenem Katechismus zitiert…, wer dieses oder jenes Bekenntnislied singt …

 

Nein, das sagt er nicht! Denn all das kann man mit viel Eifer tun und dennoch, wie die Geschichte zeigt, unmenschlich und grausam werden … Jesus Christus sagt: „Wer mich bekennt vor den Menschen …“

 

Wer mich bekennt, das heißt: wer sich zu mir stellt, 

- wenn man mich als Freund der Sünder und Zöllner verspottet

- wenn ich mich zu denen geselle, die sich im Leben schwer tun – aus eigener oder fremder Schuld 

- wenn ich Schwache und Einfache in Schutz nehme vor herzlosen religiösen (und profanen) Besserwissern 

- wenn ich die Barmherzigen und Sanftmütigen selig preise 

- wenn ich nicht nur zur Bruderliebe, sondern auch zur Fremden- und Feindesliebe aufrufe

- wenn ich euch den Samariter, einen Andersgläubigen, zum Vorbild gebe 

- wenn ich sage: Stecke dein Schwert weg!

- wenn ich begriffsstutzigen Jüngern, die von Karrieren träumen, die Füße wasche 

- wenn ich durch die Gottverlassenheit gehe, um mit euch und für euch Gott zu finden,

Wer mich so bekennt, höre ich Christus sagen, und wer auch angesichts vieler mächtiger Wölfe, die auf Gewalt setzen, an die Kraft des Gotteslammes glaubt, „zu dem will auch ich mich bekennen vor meinem Vater im Himmel.“ 

 

Wer mich hingegen nur als Garanten für seine vorgefertigten Ansichten braucht, wer mich als Bekenntnisfigur gegen andere benützt, wer mich, meinen Namen, mein Kreuz als Waffe gegen Andersgläubige oder Menschen ohne Religion missbraucht, wer zu mir „Herr, Herr“ sagt, ohne „den Willen meines Vaters zu tun“ (Mt 7,21), der verleugnet mich, und ich muss vor meinen Vater sagen: Dieser Mensch gibt sich zwar als mein Freund und Bekenner aus, aber er ist es nicht, er verwechselt mich. Er kennt mich nicht. Das ist es nicht, was ich gewollt habe.

 

2016 organisierte die kirchliche Jugendarbeit in Sachsen-Anhalt unter dem Titel „Von Luther zum Papst“ eine ökumenische Wallfahrt nach Rom, an der rund 1000 Menschen aus verschiedenen Teilen Deutschlands teilnahmen, darunter viele evangelische und katholische Jugendliche. Auch eine Papstaudienz stand auf dem Programm. In dieser ökumenisch spannenden Begegnung rief Papst Franziskus den Jugendlichen spontan die Frage zu: „Was ist besser, katholisch oder evangelisch?“ Diese Frage irritierte die ökumenisch gesinnten jungen Leute. Franziskus lachte und beantworte dann die Frage selbst in deutscher Sprache: „Besser ist beides zusammen“, also katholisch und evangelisch.

 

Liebe Schwestern und Brüder, als Christen und Christinnen gehören wir verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften an. Wir sind evangelisch, katholisch, orthodox, altkatholisch, freikirchlich usw. Wir leben aus unterschiedlichen geistlichen und theologischen Traditionen. Aber wenn wir das Bekenntnis zu Jesus Christus ernst nehmen, wenn wir seine Botschaft besser verstehen wollen, wenn wir das, „was uns ins Ohr geflüstert wird“ auch glaubwürdig „von den Dächern verkünden“ wollen, dann geht das sicher nicht gegeneinander, sondern nur gemeinsam. 

 

Und noch etwas Wichtiges: Es geht beim Bekenntnis zu Jesus auch nicht um ein Match christliche Ökumene gegen Angehörige anderer Religionen oder um ein Match Gläubige gegen Menschen, die sich selbst als Agnostiker oder Atheisten bezeichnen. Wer Gottes Wort verstehen will, darf nicht nur in der Bibel blättern, sondern muss auch hineinhorchen in das Leben der Menschen. Er wird jeden Menschen achten. Denn jeder Mensch ist eine Botschaft und „der Geist weht, wo er will“ (Joh 3,8).

 

Liebe Schwestern und Brüder, bleiben wir achtsam, bleiben wir offen füreinander, hören wir aufeinander, unterstützen wir einander in Demut mit den Gaben, die der Heilige Geist unseren Kirchen und Gemeinschaften und jedem und jeder Einzelnen von uns gegeben hat und gibt, dann werden wir DEN immer besser verstehen können, der nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift für uns „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist.

 

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?Vorgegebener Text aus der Heiligen Schrift für die Predigt: Matthäus 10,26b – 33
„Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern. 
Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge. 
Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.“