Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
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MENSCHLICH WACHSEN
„Sie haben aus mir einen besseren Menschen gemacht“. Diesen Satz schrieb vor kurzem ein Schüler im Augustinum in das Kondolenzbuch für einen allseits beliebten Lehrer, der überraschend und nach menschlichem Ermessen allzu früh verstorben war. „Sie haben aus mir einen besseren Menschen gemacht.“ – Gibt es für einen Lehrer, für eine Lehrerin ein schöneres Lob aus dem Mund eines Schülers, einer Schülerin?
Ich weiß, dass dieses Lob auch vielen von Ihnen, die Sie jahraus, jahrein Religion unterrichten, gebührt, auch wenn es von Schülern und Schülerinnen nicht immer direkt so ausgesprochen wird. Durch Ihren Dienst, Ihre pädagogische Kompetenz, vor allem aber durch Ihr authentisches Menschsein und Christsein und die damit verbundene Vorbildwirkung tragen Sie nicht unwesentlich dazu bei, dass Kinder und Jugendliche zu reifen Menschen heranwachsen können. Manche ihrer Schülerinnen und Schüler werden bewusste Christinnen und Christen werden. Aber auch andere, die diesen Schritt ehrlicherweise nicht tun können, werden durch die Begegnung mit Ihnen menschlich gewachsen sein. Darüber wollen wir uns gemeinsam freuen und dafür möchte ich Ihnen als Bischof – auch heute – ganz besonders danken.
SCHULE ALS HOFFNUNGSORT
Ihre tägliche Arbeit hat sehr viel mit „Identität und Offenheit“ zu tun. Diese beiden Begriffe sind die Leitworte der heurigen ökumenischen Sommerbildung. Erstmalig finden gleichzeitig auch Fortbildungsveranstaltungen für die islamischen Religionslehrerinnen und -lehrer am Campus Augustinum statt.
„Identität und Offenheit“ – ich habe die berechtigte Hoffnung, dass Sie in diesen Tagen noch viel Kluges darüber hören und in Workshops dazu erarbeiten werden. Ich möchte mich daher meinerseits auf ein paar Gedanken und Impulse beschränken, die mir immer wieder durch den Kopf gehen, die mir am Herzen liegen und die ich Ihnen, ohne einer großen Systematik zu folgen, mitgeben möchte.
Das Wort „Identität“ – so fällt mir auf – wird heute in Gesellschaft und Kirche häufig von Menschen in den Mund genommen, die Sorge und Angst haben, das Überkommene und Liebgewordene könnte verloren gehen. Der humanistisch gebildete Publizist Philipp Blom, der einer breiteren Öffentlichkeit erst durch seine vieldiskutierte Festrede bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2018 bekannt geworden ist, hat in einem Interview mit der Kleinen Zeitung am 26. Juli (2018) gesagt:
„Ängstliche Menschen nehmen die Welt anders wahr, denken mehr an Verteidigung, Identität und Herkunft. Zuversichtliche Menschen sind eher bereit, solidarisch zu leben und in den Dialog zu treten. Das heißt, die einzige Lösung ist, Menschen wieder Hoffnung und Zuversicht zu geben.“
Wenn dieser Satz angesichts vieler gesellschaftlicher Umbrüche diagnostischen Wert hat, dann sehen Sie unschwer, wie wichtig Ihr pädagogisches Wirken, Ihre menschliche Präsenz und Ihr Glaubenszeugnis für junge Menschen sind. Pathetisch gesagt: Unsere Welt braucht Hoffnung und Zuversicht. Freilich wissen wir nur zu gut, Ängste kann man nicht einfach „weg-argumentieren“, sie lassen sich nur in Geduld lindern – durch Erfahrungen des Vertrauens. Daher bitte ich Sie: Machen Sie den Ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern aber auch den mit Ihnen zusammenarbeitenden Kolleginnen und Kollegen Mut, vor allem aber seien Sie geduldige Lehrerinnen und Lehrer des Vertrauens!
Manche Ideologien versprechen Identität durch Abwertung des Anderen, des Neuen, des Fremden, des noch Nicht-Vertrauten. Das Andere und das Fremde, die Andersdenkenden und Andersglaubenden, die Anderslebenden und Andersliebenden werden primär als Gefahr und Bedrohung für das je Eigene, für die eigenen Werte, für die eigene Identität gesehen. Sie können dann kaum als Weitung des eigenen Horizonts oder gar als Bereicherung und Chance, sich selbst durch das Andere besser und neu verstehen zu lernen, wahrgenommen werden. Wie sehr doch – vereinfacht gesagt – das „christliche Konzept“ der „Identität durch Hingabe“ und Liebe da anderes einbringen würde in so manche, auch aktuelle, Debatte – ich denke da unter anderem auch an jene Debatten, die derzeit auch gegen unseren Papst angezettelt werden. Auch hier heißt es - vereinfacht gesagt: Identität durch Abgrenzung versus Identität durch Hingabe und damit authentisch gelebtes Christsein. Gehen wir diesen Weg unbeirrt mit dem Petrus von heute weiter. Ich vertraue darauf, dass Sie Ihre Berufung als Religionslehrerin/ Religionslehrer leben, indem Sie Tag für Tag Lernprozesse initiieren, die die Identitätsentwicklung junger Menschen in einem offenen Klima des Dialogs fördern.
„Geschlossenheit“ ist demnach auch so ein verräterisches Wort. Das sprichwörtliche Schild an einer Kirche „Wegen Umbau geschlossen“ ist dann nicht nur ein schlechter Witz, sondern beschreibt ein von gar nicht so wenigen tatsächlich gelebtes Verhalten in den gegenwärtigen „Umbau-Krisen“ von Kirche und Gesellschaft. Aber – bei allem Verständnis für unvermeidliche Angst-Reflexe und notwendige Schutzmechanismen! – können Abwehr, Separation, mentale und reale Mauern und Zäune wirklich dauerhaft und befriedigend Identität sichern?
Als Männer und Frauen der Religionspädagogik wissen Sie, dass unser Wort „Sünde“ volksetymologisch vom Wort „sondern“ und „absondern“ abgeleitet wird. Sünde ließe sich von daher beschreiben als Suche nach Identität durch Absonderung, als Ich-sein-Wollen durch Nein zum anderen, als Verweigerung der Öffnung zum Du, das mir immer neu begegnet und mich immer neu herausfordert. Das Sich-Versagen wird zum Versagen.
LEBEN AUS DEM EVANGELIUM!?
Die lange Geschichte der christlichen Kirche in unserem Land – die übrigens nicht erst mit der Diözesangeschichte vor 800 Jahren beginnt, wie es in der Ankündigung meines Referates im Programm etwas irreführend heißt –, also die lange Geschichte der christlichen Kirche in unserem Land weiß viel vom Spannungsfeld „Identität – Offenheit“ zu erzählen.
Die ersten christlichen Missionare im Ostalpenraum zeigen wohl viel Verständnis für die Lebenssituationen und Mentalitäten der damals noch tief in heidnischen Kulten verwurzelten Bewohner unseres Landes. In kritischer Offenheit sorgen sie für die Inkulturation des Evangeliums. Verschiedene Volksgruppen, Sprachen und Kulturen begegnen und befruchten einander. Der Same des Evangeliums fällt auf gutes Erdreich. Es wachsen Glaube, Hoffnung, Mut, Kreativität, Nächstenliebe, aufrichtige Barmherzigkeit für Arme und Kranke. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7,20) – dieses Wort aus der Bergpredigt kann eine gute Hilfe sein, wahre Jüngerschaft Christi zu identifizieren, also die Identität des Christlichen aufzuspüren.
Aber die Geschichte der Christianisierung und der späteren Entwicklung kirchlichen Lebens in unserem Land ist auch geprägt vom spannungsvollen Miteinander, Gegeneinander und Ineinander kirchlicher und weltlicher Realpolitik, die nicht immer dem Herzen des Evangeliums entspringt. Letztlich verdankt sich ja auch die Gründung des Eigenbistums „Seckau“ einem solchen Umstand: der Salzburger Erzbischof nutzte die Abwesenheit des Landesherren auf dem Kreuzzug, um in der heutigen Steiermark eine Diözese zu errichten.
Das rechtzeitig zu unserm Diözesanjubiläum erschienene historische Werk „800 Jahre Diözese Graz-Seckau – Von der Gründung bis zur Gegenwart“, herausgegeben u. a. von Michaela Sohn-Kronthaler bietet interessante themenbezogene Einblicke in die wechselvolle Diözesangeschichte. Dieses historische Werk kann und soll auch eine Anregung sein für tiefergehende theologische Reflexionen zum Thema „Identität und Offenheit“. (Kirchengeschichte ist ja nicht nur eine historische, sondern auch eine theologische Disziplin.)
Im Laufe der Kirchengeschichte unseres Landes vermischt sich Sorge um die Identität des Glaubens mitunter handfest mit kirchenpolitischen und weltlichen Interessen. Unkraut und Weizen wachsen – wie im Gleichnis Jesu im 13. Kapitel des Matthäus – dicht nebeneinander; und auch in der religiösen Praxis des Volkes. Ja, es gibt die gleichgültigen und bequemen geistlichen Hirten. Es gibt die Hardliner und Glaubenseiferer, die unduldsam fragen: „Sollen wir gehen und das Unkraut ausreißen?“ Und es gibt die Achtsamen, Klugen und Geduldigen, die auf die Stimme des Herrn hören: „Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus.“
Die theologischen und politischen Auseinandersetzungen um Luthers Reformideen sind ein historisches Paradebeispiel für das Ringen um christliche Identität. Heute wissen wir: Die theologische Polemik und später auch der politische Kampf zwischen Evangelischen und Katholischen hat Europa unglaublich geschadet. Es gab Mörder und Märtyrer auf beiden Seiten, Missverständnis und Streit bis in die jüngste Vergangenheit. Lange Zeit konnten und wollten Evangelische und Katholische nichts Gutes übereinander sagen. Sie verkündeten zwar beide das Evangelium der Liebe, konnten einander aber nicht ausstehen. Das Trennende wurde betont, die Fehler der anderen hinausposaunt, die eigenen Fehler verschwiegen oder kleingeredet. Ich durfte als Gastprediger am Reformationstag 2017 in der evangelischen Heilandskirche in Graz dazu schon mir Wichtiges sagen. Ich brauche das hier nicht zu wiederholen, es kann im Internet nachgelesen werden.
Aber Gott sei Dank, der Heilige Geist schläft nicht! Er hat uns gelehrt, dass Identität nicht im Gegeneinander gefunden und gesichert werden kann. Im letzten Jahrhundert entstand das, was wir heute Ökumenische Bewegung nennen, früh auch in der Steiermark. Geistige Brücken wurden gebaut, Freundschaften geschlossen. Im Ökumenischen Forum der christlichen Kirchen in der Steiermark arbeiten heute katholische, protestantische und orthodoxe Kirchen geschwisterlich auf Augenhöhe zusammen. Wie schon manche kirchliche Veranstaltung in unserem Land ist auch diese Sommerbildung zum bereits zweiten Mal ökumenisch ausgerichtet. Darüber freuen wir uns und dafür sind wir dankbar. Aus dem konfessionellen Gegeneinander und Nebeneinander früherer Zeiten wurde ein ökumenisches Miteinander. Die zentralen Fragen sind heute: Was will Christus in dieser Zeit von uns? Wie können wir Gottes Liebe gemeinsam glaubwürdig in der Welt bezeugen? Was verbindet uns? Was bringen die einzelnen Kirchen in die Ökumene und in die Gesellschaft ein? Wie können wir trotz mancher Unterschiede wieder zusammenfinden?
Niemand soll in dieser Suche nach einer gemeinsamen christlichen Identität überrollt werden. Jede Kirche soll das Ihre zum Wohle aller einbringen können. In diese Richtung denkt und wirkt auch Papst Franziskus, dem die Ökumene ein Herzensanliegen ist. In seiner Predigt während der Ökumenischen Vesper am 25. Jänner 2017 in der römischen Basilika St. Paul vor den Mauern sagte er:
„Eine echte Versöhnung zwischen den Christen wird sich verwirklichen lassen, wenn wir verstehen, wechselseitig die Gaben des anderen anzuerkennen, und fähig sind, demütig und aufmerksam voneinander zu lernen, ohne zu erwarten, dass zuerst einmal die anderen von uns lernen.“
Hier zeigt der Papst, dass christliche und kirchliche Identität nichts Starres und Fertiges ist, sondern dass sie durch Offenheit, durch bewusstes Hinschauen auf andere und durch das neidlose Lernen von anderen neu verstanden und belebt werden kann.
DEM MENSCHEN ZUGEWANDT
Die Kirche – so meint der Papst – bleibt sich nicht wirklich treu, wenn sie Ihre Identität unter einen Glassturz stellt. Er kritisiert das als „autopreservazione“ (EG 27), als „Selbstbewahrung“. Kirche lernt ihr Kirche-Sein vielmehr, indem sie sich hingibt – an die Menschen, zu denen sie gesandt ist. Schon in seiner „Regierungserklärung“, dem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium, sagt Papst Franziskus:
„Brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten! Ich wiederhole hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und Laien von Buenos Aires gesagt habe: Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist (EG 49).
Und – so der Papst weiter – als Kirche sollten wir uns weniger davor fürchten, dabei Fehler zu machen, sondern uns vielmehr davor fürchten,
„[…] uns einzuschließen in die Strukturen, die uns einen falschen Schutz geben, in die Normen, die uns in unnachsichtige Richter verwandeln, in die Gewohnheiten, in denen wir uns ruhig fühlen, während draußen eine hungrige Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos wiederholt: »Gebt ihr ihnen zu essen!« (Mk 6,37)“ (EG 49).
Mit solchen und ähnlichen aufrüttelnden Sätzen hat Papst Franziskus die katholische Kirche weltweit zur „conversione pastorale“ (EG 27), zur Bekehrung der Pastoral, aufgerufen: Liebe Kirche – so könnte man das wiedergeben –, sorge dich weniger um dich selbst, um deine Organisation, um deine Mitgliederzahl und dein Image, sondern riskiere dich, werde demütig und wende dich radikal den Menschen zu – wie Jesus!
Dieser Aufruf trifft auch die katholische Kirche in unserem Land. Wir wollen ihn hören und ernstnehmen. Das Zukunftsbild der Katholischen Kirche Steiermark, das Sie vielleicht schon studiert haben und das ich Ihnen jedenfalls sehr ans Herz lege, versucht diesen Impuls zur „Bekehrung der Pastoral“ aufzunehmen und für unsere Diözese zu formulieren.
(Ich hoffe, dass ich die evangelischen Geschwister unter uns jetzt nicht langweile. Vielleicht können auch Sie aus dem Folgenden den einen oder anderen Gedanken mitnehmen.)
Die wichtigste Frage für die Reform unserer Diözese ist also nicht: „Was braucht die Kirche?“, sondern: „Was brauchen die Menschen?“ Dies fragen wir, weil wir nicht müde werden, „Gottes Melodie“ in uns aufzunehmen. Man kann es sich nicht oft genug in Erinnerung rufen: Die Kirche ist für den Menschen da und nicht umgekehrt.
Dem entspricht der erste Leitsatz im Zukunftsbild „Wir gehen vom Leben der Menschen aus“. Das heißt: Wir wollen die verschiedenen Lebenswirklichkeiten der Menschen in unserem Land ernstnehmen und besser verstehen lernen. Jeder Mensch, auch wenn er „anders“ glaubt und lebt, verdient unsere Achtsamkeit. Wir wollen niemanden abschreiben und verurteilen. Wer mit uns zu tun hat, soll sich nicht verstellen müssen, sondern jeder und jede soll aufrichtig da sein dürfen, soll das finden können, was er oder sie menschlich braucht, soll entdecken können, was für ihn oder sie jetzt der Wille Gottes ist. Jesus, sein Wort, sein Leben, sein Geist inspirieren uns dabei. Allen, die Begleitung brauchen und wünschen, möchte wir – in großem Respekt vor ihrer Freiheit – verlässliche Begleiter und Begleiterinnen sein. Wir werden dabei selbst nicht frei von Zweifeln und Unsicherheit sein, aber wir wollen offen bleiben für die Fülle des Evangeliums und für den Geist Jesu, der uns auch neue Wege erschließt und zumutet. Eine große Ermutigung zu diesem Weg pastoraler Begleitung ist das Apostolische Schreiben Amoris laetita.
KIRCHE & SCHULE ALS LERNORTE
Wir wollen keine besserwisserische Kirche sein, sondern eine lernende. Wenn es von Jesus im Hebräerbrief heißt: „Obwohl er der Sohn war, hat er […] Gehorsam gelernt“ (Hebr 5,8), wenn er als Mensch lernen musste, immer tiefer in den Willen Gottes hineinzuhorchen und so seine Sendung immer besser zu verstehen, dann darf sich auch seine Kirche nicht zu schade sein, eine fragende, suchende und lernende zu sein. Darum heißt der zweite Leitsatz im Zukunftsbild: „Wir sind alle auf der Suche nach Gott“. In jedem Menschen, so glauben wir, ist Gott gegenwärtig. Von jedem und mit jedem können wir etwas von dem lernen, was das Leben zutiefst ausmacht – und damit von der Menschenliebe Gottes, die der Kern des Evangeliums ist. Ich bin sicher, dass Sie als Religionslehrerinnen und Religionslehrer hier viel Erfahrung haben und diese an den Schulstandorten und in das Gesamt der Kirche einbringen können.
Besonders viel – darauf weist Papst Franziskus immer wieder hin – können wir von den Armen und Benachteiligten lernen. Das Evangelium lässt keinen Zweifel: Sie, die an den Rand gedrängt werden, sind die Lieblinge Gottes. Der Umgang mit Ihnen bringt uns wenig Ansehen, ist manchen auch ein Dorn im Auge und erregt Anstoß, mitunter auch bei gutsituierten Kirchenmitgliedern, aber er nötigt uns zu Demut, Realitätssinn, Risiko, Flexibilität, Solidarität ... Gerade durch und von den Armen können wir viel lernen – über das Menschsein, über das Evangelium, über Gott und seine Überraschungen ...
„Aus diesem Grunde wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen. Sie haben uns vieles zu lehren“, sagt Papst Franziskus (EG 198).
Und vom Märtyrer-Bischof Oscar Romero, der 1980 wegen seines Einsatzes für die Entrechteten in El Salvador während der Feier der hl. Messe am Altar erschossen worden ist und der heuer im Oktober heiliggesprochen werden wird, stammt das prophetische Wort:
„Wenn die Kirche von den Armen ausgeht, wird es ihr gelingen, für alle da zu sein.“
Werden wir in der Steiermark den Mut haben, eine „Kirche der Armen“ zu sein? Der dritte Leitsatz im Zukunftsbild ermutigt uns dazu: „Wir begegnen dem Geheimnis Gottes in der Liebe zu den Armen und Benachteiligten“.
Wenn uns diese grundsätzliche „Bekehrung der Pastoral“, wie sie in den ersten drei Leitgedanken des Zukunftsbildes skizziert ist, gelingt, dann haben auch die anderen Reformvorhaben, die das Zukunftsbild benennt, eine Chance:
Bei allem, was Kirche tut, wird verstärkt auf Qualität geachtet werden. (Und wir werden gut darüber nachdenken müssen: Was heißt Qualität für uns als Kirche? Qualität in der Verkündigung, Qualität in der Seelsorge, Qualität im Religionsunterricht usw.?)
Freilich – auch das muss gesagt werden – in den nächsten Jahren wird so manch‘ Gewohntes und Liebgewordenes erlöschen, enden, ja, „sterben“. Wenn etwas stirbt, heißt das nicht, es war bisher nicht wichtig oder wertvoll. So wie der Tod eines Menschen, dessen Leben nicht wertlos macht, gilt dies in einer gewissen Analogie auch Diensten, Aufgaben, Gruppen, Institutionen usw. Das wird manchen sehr weh tun. Andere wird es aber auch entlasten, wenn sie sich nicht mehr gezwungen sehen, alle Lücken des Traditionellen wieder auffüllen zu müssen, sondern ihre Kräfte Neuem zuwenden zu dürfen.
Und es wird – da bin ich zuversichtlich – Neues wachsen; neue Formen christlichen und kirchlichen Lebens, die heutigen Menschen und ihrer Lebenswirklichkeit besser entsprechen.
Ich nehme an, dass die Kirche in unserem Land in den nächsten Jahren zahlenmäßig noch kleiner werden wird. Aber sie kann auch ehrlicher, demütiger, barmherziger und glaubwürdiger werden – und so ihrem Meister immer ähnlicher, „der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mt 20,28). Beulen und Schrammen werden ihr nicht erspart bleiben. Aber sie wird sich vielleicht weniger Sorge um ihre Identität machen müssen. Denn – und ich werde nicht müde, das erste Lied der Christenheit im Laufe meines bischöflichen Dienstes immer wieder zu zitieren, wenn es darum geht, von Identität zu sprechen, macht es doch deutlich, dass christliche Identität in der Liebe verwurzelt ist und aus Hingabe erwächst: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“, ruft Paulus den Philippern in Erinnerung (vgl. Phil 2,5-11): „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.“
Im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes, bitte ich Sie, liebe Religionslehrende: „Nehmt die Melodie Gottes in Euch auf“, erfüllt das Zukunftsbild mit Leben und macht so spürbar, woraus wir leben und daher auch, für wen Kirche lebt!