Mit Leib und Seele
„Er ist Arzt mit Leib und Seele!“ – „Sie ist Sängerin mit Leib und Seele!“ Wenn wir das sagen, meinen wir: Jemand ist voller Begeisterung für einen Beruf oder ein Hobby. Jemand ist ganz erfüllt von dem, was ihn begeistert. Jemand geht in dem auf, was er tut.
Ich habe noch nie sagen hören: „Der war Verbrecher mit Leib und Seele.“ Oder: „Der war Betrüger mit Leib und Seele.“ Wir verwenden diese Sprechweise anscheinend nur dann, wenn es um etwas Schönes und Wertvolles geht. Wir drücken damit Anerkennung aus: Es ist etwas Großes, wenn jemand ganz in etwas aufgeht. Es ist das Ideal menschlichen Lebens, dass man sich in seinem ganzen Wesen von etwas erfüllen lässt. Es ist schön, wenn Leib und Seele so zusammenklingen.
Das ist ja im Alltag nicht immer so. Nicht immer sind Körper und Seele beieinander:
- Wenn zum Beispiel jemand erklärt: Ich bin ganz ruhig. Aber jeder sieht, dass seine Finger sich ständig nervös bewegen.
- Wenn ich zu euch komme und sage: Ich freue mich, bei Euch zu sein. Aber mein Gesicht wirkt mürrisch, und ich schaue euch nicht an, sondern bleibe in mich gekehrt.
- Wenn jemand sagt: Ich bin für dich da! Aber seine Körpersprache sagt: Komm mir nur nicht zu nah, bleib mir vom Leib!
- Manchmal hört jemand in einem Gespräch nicht zu. Er ist körperlich zwar da, aber die Seele ist ganz woanders.
- Manchmal ist die Seele voraus, und der Körper muss erst nachkommen. Wenn zum Beispiel bei mir der Urlaub beginnt, denke ich zwar nicht mehr an die Arbeit und lege alles beiseite. Aber ich schlafe die ersten Tage schlecht, und bin verspannt: Der Körper ist noch längst nicht im Urlaub angekommen.
- Ich sage manchmal: Gott, ich vertraue dir. Ich überlasse mich dir. Aber ich bin verkrampft. Ich kann noch nicht wirklich loslassen. Ich bin weit von einer wirklichen Gelassenheit entfernt. Die Erlösung, an die ich glaube, hat zwar meinen Verstand erreicht. Aber mein Körper ist noch nicht nachgekommen. Leib und Seele sind eben eine Einheit und gehören zusammen!
Für die Israeliten zur Zeit der Bibel war ganz klar: Der Mensch ist ein Ganzes. Man konnte sich nicht vorstellen, dass Leib und Seele zwei Teile des Menschen sind, die man auch voneinander lösen kann. Man konnte sich auch nicht denken, dass nach dem Tod der Körper zerfällt und die Seele ohne den Leib weiter existiert. Der ganze Mensch stirbt; und wenn es eine Auferstehung gibt, wird der ganze Mensch wieder lebendig.
Vielleicht verstehen wir eine solche Sichtweise besser, wenn wir uns ins Bewusstsein rufen: Der Körper eines Menschen prägt den ganzen Menschen dauerhaft.
- Wenn jemand eine körperliche Behinderung hat, ist das nicht etwas rein Äußerliches. Sie beeinflusst sein ganzes Lebensgefühl, sein Selbstbewusstsein, die Art, wie Menschen mit ihm umgehen und wie er mit Menschen umgeht.
- Wer ständig verspottet wurde, weil er klein war, hat es schwer, Selbstbewusstsein zu entwickeln. Wer dagegen von Natur aus groß und robust ist, vor dem hat man automatisch Respekt.
- Wer als Kind immer wieder wegen seiner großen Nase oder seiner krummen Beine verlacht worden ist, der trägt in seiner Seele Verletzungen davon. Und diese Verwundungen kann man nicht einfach abstreifen, als sei der Körper nur etwas Nebensächliches.
Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen – das bekennen wir heute. Himmel, das heißt: Nähe Gottes. Wir könnten also auch sagen: Maria ist mit Leib und Seele bei Gott angekommen. Es klingt so schwierig, ja unglaublich. Aber war sie nicht schon in ihrem ganzen Leben mit Leib und Seele bei Gott? Sie hat Jesus, in dem Gott Mensch geworden ist, neun Monate in ihrem Leib getragen. Sie hat den kleinen Jesus geküsst, gestreichelt, gewaschen, saubergemacht, getragen, vielleicht auch mal am Ohr gezogen. Kann man sich dann vorstellen, dass dieser Leib auf einmal keine Rolle mehr spielt?
Jesus war ebenso als ganzer Mensch präsent. Er wandte sich den Menschen mit Leib und Seele zu. Die Evangelien erzählen: Er berührt einen Aussätzigen und heilt ihn. Er fasst die kranke Schwiegermutter des Petrus an der Hand und richtet sie auf. Er sorgt dafür, dass die Menschenmenge zu essen bekommt. Er fasst den sinkenden Petrus an der Hand und zieht in aus dem Wasser. Dem Taubstummen legt er die Finger in die Ohren und befreit ihn von seiner Taubheit. Er legt Kindern die Hände auf und segnet sie. Menschen, die ihm begegnen, können leibhaft spüren: Ich werde heil.
Maria singt in ihrem Loblied, das wir gerade im Evangelium gehört haben: Die Hungernden beschenkt Gott mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Sie preist einen Gott, der nicht erst in einem fernen Jenseits dem Menschen ein „Seelenheil“ schenken will. Nein, Gott fängt jetzt schon an, Menschen heil zu machen – an Leib und Seele. Und er möchte, dass wir das Unsere dazu tun, auch die leibliche Not in unserer Welt zu beheben – auch wenn es immer nur ansatzweise und bruchstückhaft ist.
Gott will uns heil machen - daran denken wir auch, wenn wir nachher die Kräuter segnen: Für zahlreiche Tees, Tabletten, Tropfen und Salben werden diese Kräuter verwendet. Die Kräuter segnen – das wirkt vielleicht zunächst wie ein Ausdruck magischen Denkens. Aber ist nicht alles, was heilt, letzten Endes ein Hinweis auf Gott und auf sein Heil, das er uns schenken will, an Leib und Seele? Die Heilkräuter weisen auf dieses Heil hin – ebenso wie manche kleine Geste in unserem Alltag: Wenn ein Kind hingefallen ist, streichelt die Mutter oder der Vater die schmerzende Stelle und tröstet es: Alles ist gut! Gleich tut es nicht mehr so weh!
Gott will uns heil machen an Leib und Seele. Das haben wir vielleicht in besonderen Augenblicken schon ganz tief erlebt: Möglicherweise haben wir uns schon einmal ganz geborgen gefühlt. Wir haben bis ins tiefste Mark hinein gespürt: Ich brauche keine Angst zu haben. Ich bin getragen. Da konnten wir etwas davon ahnen, was es heißt: mit Leib und Seele bei Gott sein.