Jesus ruft ins Leben
Da war sie plötzlich wieder! Vor einem Monat hatte ich eine Trauung in der Südsteiermark und ich holte meinen Sommeranzug aus dem Kasten. Als ich in die Sakkotasche griff, ja da war sie wieder die alte Maske, der Mund- und Nasenschutz aus der Zeit der Coronapandemie. Schon wieder lange her. Heute – Gott sei Dank – unvorstellbar, was es da im Allgemeinen und für die Gottesdienste im Besonderen für Abstandsregeln und Einschränkungen gab, damit wir gesund bleiben und sich das Virus nicht so schnell verbreitet.
Wenn wir heute das Evangelium hören, dann ist vieles von den damaligen kultischen und hygienischen Vorschriften genauso völlig fremd und nicht nachvollziehbar. Was heißt denn eigentlich unrein?
In der damaligen Kultur gab es keine Trennung von profan/weltlich und religiös. Alle Lebensbereiche hatten selbstverständlich einen Bezug zum Göttlichen und das hat sich praktisch ausgewirkt. Weil Blut als Lebenssaft grundsätzlich allein Gott vorbehalten war, ist jede Berührung mit Blut kritisch gewesen. D.h. jeder Kontakt mit Blut macht unrein und das meint, kultunfähig. Wenn du Blut berührt hast, dann warst du vom Gottesdienst und automatisch von jeder Gemeinschaft ausgeschlossen, denn jeder und jede, die unrein geworden hat, macht auch andere durch Berührung unrein. Was einmal vielleicht eine sinnvolle hygienische Vorsichtsmaßnahme war, kann sich bei unnachgiebiger Konsequenz als tödlich erweisen. Die Frau, die den Mut hat Jesus zu berühren, obwohl sie 12 Jahre an Blutungen litt, war aufgrund ihres Blutflusses durch die Vorschriften aus dem Gesetz des Moses von vorne herein vollkommen isoliert. Sie durfte niemanden berühren oder umarmen, sie war zugleich unfruchtbar, weil selbstverständlich auch jede sexuelle Begegnung ausgeschlossen war. Andererseits waren alleinstehende Frauen in der damaligen männer-dominierten Gesellschaft immer in einer ganz schwierigen Situation.
Jesus ist nun einer, der diese strengen Tabu-vorstellungen durchbricht und sich von der kranken, blutflüssigen Frau berühren lässt und damit selbst unrein wird. Aber er weist diese völlig verängstigte Frau nicht zurück, sondern ermutigt sie und sagt, dass ihr Glaube sie gerettet hat.
Das war für die damals rechtgläubigen Frommen unerhört und skandalös. Genauso, dass Jesus auch noch das tote 12 jährige Mädchen berührt, denn auch Tote machen unrein.
Jesus verkündigt mit seinem Tun, dass sein Gott, auf den er vertraut, nicht diese rigorose Trennung von allem Lebendigen will. Der Gott Jesu ist ein Liebender, ein Freund des Lebens. Gerade Frauen, die in den unterschiedlichsten patriarchalischen Systemen damals und heute, erniedrigt, gedemütigt und ausgegrenzt werden, sind bei Jesus gegen alle Regeln damals und heute zum vollen Leben gerufen.
Warum es dennoch gerade in unserer Kirche einen Ausschluss von Frauen von den Weiheämtern und anderen Diensten gibt, ist einfach nicht zu erklären und zu verstehen, wenn wir diese Begegnungen Jesu mit der kranken Frau und dem verstorbenen Mädchen ernst nehmen.
Jesus ist einer, der heilt und ins Leben ruft. Genau das ist auch unsere Mission als Kirche heute. Das kann sich aktuell darin zeigen, dass wir queere Menschen, Menschen mit anderer sexueller Orientierung, nicht als abnormal oder irgendwie „unrein“ oder gar unmoralisch ansehen, sondern uns von ihren Schwierigkeiten berühren lassen. AMEN!