Dranbleiben in Gelassenheit
Nun ist sie da, die rechte Zeit, haben wir im Eröffnungslied gesungen. Die österliche Bußzeit, die uns jedes Jahr wieder vor neue Herausforderungen stellt. Auch wenn die Pandemie nun im Abklingen zu sein scheint, erreichen uns täglich Schreckensmeldungen aus den Medien: Der Krieg in der Ukraine nimmt auch nach fast einem Jahr kein Ende, die Opfer des tragischen Erdbebens sind zahlreich, und die Überlebenden stehen vor dem Nichts, viele Menschen weltweit leiden unter Hunger, usw. Und da sollen wir fasten?
Es ist, wie so oft im Leben, wohl eine Frage der Perspektive: Ich kann den Mangel und den Verzicht in den Vordergrund stellen und den Fokus auf das Weniger legen, oder ich nehme das in den Blick, was mir ein Mehr bringt, wie z.B. mehr Zeit für Freund*innen, für Gott, für mich selbst. Als hilfreich empfinde ich dabei einen Tipp der Ordensfrau Melanie Wolfers, der sowohl für konkrete Entscheidungsfindungen gut ist, aber genauso für die Fastenzeit. Sie sagt: „Stehe ich vor einer Entscheidung, frage ich nach den vier Fs: Welche Alternative führt zu mehr Frieden, zu mehr Freude, Freiheit und Freundschaft mit mir selbst, anderen und dem göttlichen Geheimnis?“ Das ist eine gute Spur für die Fastenzeit. Wir alle sehnen uns nach Frieden. Wie kann ich in der Fastenzeit dazu beitragen, dass es in meinem persönlichen Umfeld friedlicher zugeht? Vielleicht gelingt es mir, mir einfach mehr Zeit für die Menschen um mich herum zu finden, indem ich meinen Medienkonsum bewusst einschränke. Freude ist nicht das erste Wort, das wir mit dem Fasten verbinden, und doch kann in mir eine tiefe Freude wachsen, wenn ich weiß, dass eine Änderung meines Lebensstils anderen Menschen zu mehr Gerechtigkeit verholfen wird. Vor gut einer Woche durfte ich in Brasilien mit Mitarbeiter*innen von Welthaus Graz unvorstellbar große Sojaplantagen anschauen. Soja, soweit das Auge reicht. Ich habe auch gesehen, dass dafür die ursprüngliche Vegetation gerodet wird, Menschen werden von ihrem Land vertrieben, damit Agro-Konzerne Soja anbauen, das dann z.B. in Österreich an Rinder verfüttert wird. Da fällt mir der Verzicht auf Fleisch in der Fastenzeit nicht mehr schwer. In Freiheit zu leben und in Freundschaft mit mir selbst, anderen und dem göttlichen Geheimnis kann somit etwas sein, das uns in der Fastenzeit jedes Jahr wieder neu geschenkt wird. Für einige Menschen, denen wir in Brasilien begegnet sind, war es ungeheuer wichtig, dass wir die weite Reise auf uns genommen haben. Sie erleben somit ganz konkret, dass wir an ihrer Seite stehen, was ihnen Kraft gibt, den Kampf um ihre Rechte und ihr Land weiterzuführen. Aber wir müssen nicht alle nach Brasilien reisen, denn auch hier haben wir jeden Tag die Gelegenheit, Gutes zu tun. Die Fastenzeit ist eine Einladung zu echter Umkehr: „Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider“, haben wir in der Lesung aus dem Buch Joel gehört. Gott will unser Innerstes verwandeln, er möchte, dass wir zu dem Menschen werden, den er geschaffen hat. Nehmen wir die uns geschenkte Zeit an, bemühen wir uns, aber – und auch das habe ich in Brasilien wieder erfahren dürfen – ohne Stress, bleiben wir gelassen und bleiben wir dran: Gott tut es auch! Amen.