Lernt, Gutes zu tun! Sucht das Recht!
“Wort des lebendigen Gottes.” In der katholischen Liturgie endet die biblische Lesung mit diesen Worten. Die Mitfeiernden antworten darauf “Dank sei Gott”. Es gibt biblische Texte, bei denen uns dieser vertraute Dialog schwer über die Lippen kommt. Auf den ersten Blick ist das bei unserem heutigen Predigttext wohl genauso. Gott schimpft mit IHREM Volk Israel, in klaren und harten Worten macht SIE klar, dass IHR alle Opfergaben ein Gräuel sind, dass SIE Zusammenkünfte und Festlichkeiten nicht aushält, ja, SIE ist müde, das alles zu ertragen. Das ist klare Kultkritik, die deutlich macht, dass gutes und ethisch korrektes Handeln des Volkes im Vordergrund stehen soll, nicht heuchlerischer Gottesdienst und falsches Gebet. Solange die Menschen unethisch handeln, kann Gott keine Opfer aus ihren Händen entgegennehmen. Interessanterweise folgt keine Strafandrohung, sondern in den letzten Versen haben wir 9 Imperative, 9 Aufforderungen, was das Volk tun soll. Somit besteht Hoffnung, dass Gott IHR Volk nicht im Stich lassen wird.
Die Jahreslosung der evangelischen Kirche für 2023 lautet “Du bist ein Gott, der mich sieht”. Hagar, die Magd Sarais, nennt Gott in der Wüste bei diesem Namen: “Du bist ein Gott, DIE mich sieht.” Damit ist gemeint, dass jeder Mensch ein Ansehen bei Gott hat, SIE übersieht niemanden, jeder Mensch hat eine unverwechselbare Würde.
Gott sieht vor allem jene Menschen, die wir vielleicht übersehen, die wir vergessen, die wir manchmal ausblenden, weil es bequemer so ist.
Gott sieht indigene Menschen weltweit, aber auch in Minnesota, von wo die heurige Vorbereitung für unseren gemeinsamen Gottesdienst kommt. 1862 fand in Minnesota im Gefolge des Kriegs zwischen den Vereinigten Staaten und dem indigenen Volk der Dakota (Sioux) die größte Massenhinrichtung in den USA statt. 2020 wurde der junge Afroamerikaner George Floyd von einem Polizisten ermordet – ebenfalls in Minnesota. Gott sieht die indigenen Menschen in Brasilien, die gezielt gequält und gefoltert werden – ein Skandal ungeahnten Ausmaßes. In den vergangenen Jahren starben im Amazonas-Gebiet 570 Yanomami-Kinder an den Folgen von Unterernährung. Gott sieht die Massai, die in Tansania von ihrem Land vertrieben werden, deren Lebensgrundlage zerstört wird – diese Tatsache schafft es nicht einmal zu uns in die Nachrichten. Gott sieht die vielen Opfer von Krieg und Gewalt, in der Ukraine, in Syrien, im Südsudan. SIE sieht das Unrecht in Afghanistan und im Iran. Die Liste könnte ich noch eine Weile fortsetzen.
“Du bist ein Gott, DER/DIE mich sieht.” Die Jahreslosung kann uns auf die Spur unseres Lesungstextes bringen, zunächst mit einem Gegensatz, denn in Vers 15 heißt es: “15Während ihr eure Hände ausbreitet, verberge ich meine Augen vor euch.” Damit Gott uns wieder sehen mag, gibt SIE uns Hinweise, was wir tun sollen: “16Wascht euch, reinigt euch! Schafft eure bösen Taten aus meinen Augen; lasst das Böse! 17Lernt Gutes zu tun! Sucht das °Recht! Kontrolliert die Gewalttäter! Verhelft dem Waisenkind zum Recht! Prozessiert für die Witwe! 18Kommt und lasst uns miteinander rechten!, spricht Gott.”
Ein Wesensmerkmal christlichen Lebens ist, dass wir uns als Gemeinschaft verstehen, dass wir Gemeinschaft mit Gott, mit der Schöpfung, mit unseren Mitmenschen haben und pflegen. Dazu müssen wir uns reinigen von unseren kleinen Sünden der Bequemlichkeit, wir müssen vom Bösen ablassen und lernen, Gutes zu tun. Gott traut es uns zu. Wir sollen das Recht suchen, Gewalttäter*innen kontrollieren, den Ärmsten und Ausgegrenzesten unserer Gesellschaft Recht verschaffen.
Recht zu suchen ist herausfordernd. Warum muss sich erst ein berühmter Schauspieler dazu bekennen, Kinderpornographie konsumiert zu haben, damit es schärfere Gesetze gibt? Wie schwierig ist es für manche Staaten, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen (unabhängig von einer pazifistischen Einstellung)? Warum werden junge Menschen beschimpft und lächerlich gemacht, die mit medienwirksamen Aktionen auf die Dringlichkeit eines achtsamen Umgangs mit der Schöpfung aufmerksam machen?
Und was können wir, jede und jeder einzelne von uns im Alltag tun, damit unsere Welt ein Stück gerechter, heller und besser wird?
Ich lade Sie ein, das nach einer Zeit der Stille miteinander zu teilen. Amen.