Ist Gott in unseren Kirchen erfahrbar?
Erster Sonntag an dem wir wieder – mit Einschränkungen – in den Kirchen Gottesdienst feiern. Mir stellt sich jedoch die Frage, sind unsere Kirchen der Ort, an dem Gott erfahren werden kann? Diese Frage hat mich die letzten Wochen beschäftigt und besonders wie ich diese Predigt vorbereitet habe. Vielleicht fällt es uns schwer, die Zughörigkeit zu einer Gemeinde anderen Menschen begreiflich zu machen, angesichts der vielleicht eignen Skepsis und der zahlreichen negativen Schlagzeilen. Was wird aus dieser Kirche? Was wird aus uns, die wir durch die Taufe zu dieser Kirche gehören?
Angst und Verwirrung
Diese Fragen sind den Jüngern im Evangelium und den jungen Gemeinden, von denen die Lesungstexte des Tages handeln, nicht fremd. Die Jünger werden von Jesus mit der Feststellung konfrontiert, dass er nicht mehr lange unter ihnen sein wird. Sie fragen sich, wie es weitergehen soll. In seiner Anwesenheit, davon waren sie überzeugt, war Gott unter ihnen. Wie sollte Gott präsent sein, wenn Jesus nicht mehr in der Welt ist. Wie soll man mit dieser Erfahrung von Ablehnung umgehen? Wie soll man reagieren, wenn man nach seinem Glauben befragt wird? Wir werden als Hörende dieser Texte heute mit hinein genommen in die offenen Fragen der Jüngerinnen und Jünger, aber wir werden auch hineingenommen in die Antworten, die uns das Wort Gottes gibt.
Gottes immerwährender Beistand
Ihr bleibt nicht allein, wenn ich auch nicht mehr in der Welt bin. Ihr, das sind die Apostel, die jungen Gemeinden in Jerusalem und in Kleinasien damals und das sind heute wir. In Gottes Geist ist Jesus immer anwesend. Was aber ist das für ein Geist, der hier zugesagt wird? Das Evangelium macht uns deutlich: Der Geist Gottes ist nicht der Geist der Welt, in der es um Erfolg, Ansehen, und Sicherheit geht. Es ist der Geist der Liebe und der Wahrheit.
Was aber können wir als Kirche tun, damit Gott für die Menschen erfahrbar wird? Alles, so hören wir im Evangelium, was die Jünger in der Nachfolge Jesu tun, muss sich an der Liebe Jesu messen lassen. Sie ist der von Jesus gesetzte Maßstab durch alle Zeiten hindurch. So, wie die Jünger Jesu Liebe erfahren haben, so antworten sie auf diese Liebe, indem sie sie weitergeben.
Geschwisterliche Liebe als „DIE“ grundlegende Eigenschaft – wie könnte eine Kirche aussehen, in der sich eine solche Liebe zeigt? Vielleicht so: Unsere Pfarrgemeinden wären keine einsamen Inseln, die vor sich hin wurschteln, weil das schon immer so war und häufig bequemer ist. Wie wäre es, wenn unsere Liebe reichte, um alten Menschen wieder mehr Raum zu geben, wenn Kranke sich über einen Besuch freuen könnten, Kinder und Jugendliche ehrlich willkommen sind, wo jeder – egal welcher Hautfarbe und sozialer Herkunft – angenommen wird, Menschen mit Handicap in unseren Gemeinden einen echten Platz finden …? Es gäbe so viele Ideen wie getaufte Christen! Aber woher die Zeit und die Ressourcen nehmen? Schließlich gibt es ja noch den Beruf, die Familie etc.!
Liebe im Sinne Jesu ist eben nicht in erster Linie ein Gefühl, sondern sie braucht das Tun. Erst dann kann sie überzeugen. Und überzeugen werden wir als Kirche nur, wenn wir überzeugt lieben. Dann werden uns die Menschen abnehmen, dass in unserer Mitte ein besonderer Geist, nämlich der Geist Jesu, lebt. Es gibt keine Garantie für das Gelingen, aber wenn wir die Liebe in unseren Überlegungen zum obersten Prinzip erklären, dann sind wir auf dem Weg zu einer Gemeinde im Sinne Jesu.
Der große Theologe Karl Rahner schreibt im Jahr 1955: „Diese getauften, geheiligten Menschen, die glaubenden und liebenden, sind die Kirche, aber dies wird vom Kirchenvolk bis heute noch immer nicht richtig begriffen und gelebt.“[1] Hat sich 65 Jahre danach Wesentliches verändert?
Bald feiern wir Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, das Fest der Kirche. Wir haben allen Grund, um den Heiligen Geist zu beten. Nicht, weil seine Anwesenheit uns nicht schon längst zugesichert wäre, sondern damit wir – die Getauften und Gefirmten – also die Kirche, es endlich begreifen mögen.
[1] (Rahner, Karl: Die Kirche der Heiligen. In: Rahner, Karl: Schriften zur Theologie. Band 3: Zur Theologie des geistlichen Lebens. Einsiedeln, Zürich Köln, 4.Aufl.1961, S.111-126, S.118.)