Ein Blick auf das Kreuz - Mehr als zwei Balken
Ich möchte heute mit einer Geschichte beginnen.
Sie erzählt von zwei Pilgern, die auf ihrem Pilgerweg ihr Holzkreuz mittrugen, das schwer auf ihren Schultern lastete. Einem war es schließlich zu schwer und er sägte einfach ein Stück ab.
Nach langer Wanderung trennte die Pilger nur mehr ein tiefer Graben vom ersehnten Ziel. Sie waren schlau und legten ihre Kreuze darüber, in der Annahme, dass sie gerade als Steg passen würden, um auf die andere Seite zu kommen. Der eine Pilger schritt hinüber, er hatte geschafft und er rief voller Freude: „Ich hab`s vollbracht!" Der aber, der ein Stück abgesägt hatte, stand betroffen und verzweifelt da - sein Kreuz war zu kurz.
Oft lässt sich der Sinn einer schweren Last erst später erkennen.
Krankheiten, der Tod eines lieben Menschen, Versagen im Beruf, derzeit - ein möglicher Jobverlust und die Angst um die Sicherheit der Gesundheit, Enttäuschungen, Schwierigkeiten mit Freunden, in der Familie oder auch Trennungen in der Beziehung, sind Kreuze, die unser Leben schwermachen.
Sie können uns erdrücken und viele Menschen brechen, so wie Jesus, unter der Last ihres Kreuzes zusammen. Viele finden ohne fremde Hilfe nicht mehr ins Leben. Diese Kreuze können uns sprichwörtlich ins Grab bringen.
Solche Lasten in unserem Leben sind oft unausweichbar. Es stellt sich aber die Frage, wie kann ich mit ihnen umgehen? Lade ich sie anderen auf? Mach ich es mir leichter und schüttle ich sie, wie der Pilger, teilweise oder ganz ab? Trage ich sie voll Bitterkeit. Werde ich zornig gegenüber meinen Mitmenschen und vor allem auf Gott?
Bemitleide ich mich selbst, weil ich es so schwer im Leben habe. Viele Möglichkeiten, die mich in meinem Grab bleiben lassen.
Ich kann mich aber auch aufrichten, mein Kreuz bis zum Schluss weitertragen, vertrauen auf den Sinn, warum Gott mir das zumutet, vertrauen auf seine Liebe, auf das Gute, das folgt, in Erwartung auf das Ziel, die Erlösung und Auferstehung aus dem Grab.
Leid, welches wir erfahren, kann uns manchmal Gott näher bringen. Indem wir ihm nachfolgen, verbinden wir uns immer enger mit Jesus.
Unsere Nachfolge kann uns im Innersten wandeln und uns neue Qualitäten unserer Seele zeigen.
Unser Kreuz wird dann tragbar und lebbar und führt zum Sinn des Lebens. Das Kreuz ist Bild und Botschaft der Verwandlung.
Heute am Karfreitag denken wir besonders an das Leiden und Sterben Jesu, indem wir mit ihm seinen Leidensweg gehen. Er wurde gedemütigt, verspottet, er war auf Hilfe angewiesen, richtete sich aber unter dem schweren Balken immer wieder auf, um zu erfüllen, was sein sollte.
Wir sehen Jesu am Kreuz festgenagelt mit ausgebreiteten Armen hängen und wir können es uns nicht annähernd vorstellen, wie sehr er auch innerlich gelitten haben muss. Sich hin- und hergerissen zu fühlen:
Sich dem Bösen zu widersetzen, ohne jedoch selbst böse zu werden und sich dem Hass entgegenzustellen, ohne selbst zu hassen! Geht das?
Jesus schafft es und geht als Sieger hervor, denn er legt seine Hoffnung in das Gute in Gottes Hand. Er ist umgeben und getragen von Gottes Liebe, der ihm die Hand reicht.
Und so nimmt auch Jesus uns, mit seinen ausgebreiteten Armen, auch wenn sie am Kreuz festgenagelt sind, in seine Liebe mithinein, mit all unseren Sünden und Fehlern, nimmt er uns an.
Aus Liebe zu uns Menschen hat er durchgehalten, damit wir alle zur Erlösung und Auferstehung gelangen. In der Offenbarung des Kreuzes werden viele Wahrheiten deutlich, wer Jesus Christus ist und was seine Sendung ist.
Wenn wir auf das Kreuz Christi schauen, dürfen wir all unsere Freude, unsere Trauer, unseren Misserfolg und Ängste zum zu ihm tragen. Jesus geht den Weg mit uns, er versteht, verzeiht uns, er liebt uns und möchte, dass wir diese Liebe hinaustragen.
Das Kreuz Jesus lädt uns ein, aus uns selbst herauszugehen und die zu sehen, die Hilfe brauchen, denen es schlecht geht, die auf ein gutes Wort warten und ihnen die Hand zu reichen.
Also nur Mut. Wir sind nicht allein, die leiden!
Erinnern wir uns an den Pilger in der Geschichte zu Beginn, der sein Kreuz vollständig bis zum Ziel tragt und trotz all seiner Leiden schließlich Freude empfindet und glücklich ruft: „Ich habs´s vollbracht!“
Er kann liebevoll dem anderen Pilger die Hand reichen und ihm helfen, auch über den Graben zu kommen.
Tun wir das auch, es ist unser Auftrag als Christinnen und Christen.
"Es ist vollbracht!" – waren die letzten Worte Jesu am Kreuz, starke und erfüllende Worte!
Wenn wir auf das Kreuz Jesu schauen, will es uns immer wieder dazu verhelfen unser eigenes "Es ist vollbracht!" zu sagen. Unser Leben, mit all seinen Kreuzen anzunehmen, das Geheimnis unseres Glaubens zu bezeugen und von der Hoffnung getragen zu sein, so wie Jesus nicht im Grab zu bleiben.
Denn er ist da, er, der uns hält in alle Zeit und Ewigkeit. Amen.
Andrea Lang