Wie komme ich zur Freude?
„Freu dich, Stadt Jerusalem! Seid fröhlich zusammen mit ihr, alle, die ihr traurig wart. Freut euch und trinkt euch satt an der Quelle göttlicher Tröstung.“
Der heutige 4. Fastensonntag – Laetare „freu dich“ – beginnt mit diesen Worten. Die Hälfte der Fastenzeit haben wir schon hinter uns, und im liturgischen Rosa scheint bereits das Weiß des Ostersonntags durch. So weit, so gut. Doch heuer ist plötzlich alles anders. Unsere Fastenzeit wird in gewisser Weise länger dauern und für jede/n von uns ganz unterschiedlich ausfallen. Nur eines haben wir gemeinsam, wenn wir nicht unbedingt arbeiten müssen: wir bleiben zu Hause J
Fällt also „Laetare“ heuer aus?
Schauen wir auf die biblischen Texte: in der Lesung aus dem 1. Buch Samuel haben wir von einer ganz besonderen Berufung und Beauftragung gehört. Das Volk Israel hat einen König, Saul. Doch Gott beschließt, einen neuen König zu ernennen. Das allein ist schon ungewöhnlich und spannend: wer soll dieser besondere Mensch sein? Gott erwählt David, den jüngsten Sohn des Isai, der in Betlehem (Haus des Brotes) wohnt. Gott sieht auf sein Herz, auf den Sitz des Wollens, Verstandes und der Urteilsfähigkeit. Samuel salbt ihn mit Öl zum König. Und es heißt: „Und der Geist des HERRN war über David von diesem Tag an.“ Gottes Geist ist auch über und in uns. In der Taufe wird er uns geschenkt; wir werden mit Chrisamöl gesalbt und mit dem Geist beschenkt, der uns zum Guten antreibt und uns hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir sind berufen, priesterlich, königlich und prophetisch zu leben. Als Christ/innen sind wir von Gott beauftragt, aufeinander zu schauen, unsere und die Würde anderer zu achten, zu beten – unseren Dank, unser Lob, unsere Klage vor Gott zu bringen – und auf Missstände aufmerksam zu machen, unsere Stimme für „die Armen“ zu erheben.
Gerade in der jetzigen Situation ist das eine große Herausforderung für manche von uns. Als die ersten strengeren Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus bekannt wurden, war ich auch geneigt, in einen Aktionismus zu verfallen, denn „irgendwas muss man ja tun können“. Doch vielleicht ist dieses nichts oder weniger tun können gerade jetzt angesagt. Ich habe Zeit. Diese Zeit kann ich zwar nicht für Besuche nutzen, aber ich kann trotzdem Kontakt zu Menschen halten: über Telefon, E-Mail, soziale Netzwerke. Hier kann viel Positives geschehen. Und ich kann die Zeit tatsächlich für mich nutzen. Nachdem der Wohnungsputz erledigt ist, kann ich mir Zeit für Gott, das Gebet und besonders für die Stille nehmen. Das fällt mir schwer, aber es ist eine gute Übung in dieser Fastenzeit. Ich habe auch die Zeit, das Verhalten von anderen Menschen zu beobachten –die sozialen Netzwerke geben viel her momentan. Neben einigen merkwürdigen Dingen sehe ich viel Gutes und Positives, nehme viel an Wertschätzung für Personen wahr, die in dieser herausfordernden Zeit „den Betrieb am Laufen halten“.
Und ich beobachte religiöse Auswüchse mancher Menschen, die das Corona-Virus für eine Strafe Gottes halten. Das erheitert mich einerseits, andererseits erschreckt es mich, weil die Verbreitung eines solchen Gottesbildes zum Glück längst überholt erscheint. Und es passt auch irgendwie zur Frage des heutigen Evangeliums, wenn die Jünger Jesus fragen, wer denn gesündigt habe: der Blindgeborene oder seine Eltern. Jesus wehrt das ab. Es geht nicht darum, eine Sünde aufzudecken, sondern um die Herrlichkeit Gottes, die wir erkennen sollen Jesus öffnet dem Blindgeborenen die Augen, und er tut dies am Sabbat, was verboten ist. Immer wieder muss der Geheilte seine Geschichte erzählen, denn wer hat die Vollmacht, am Sabbat zu heilen? Der Mensch erkennt schließlich, dass Jesus der Menschensohn ist Auch ich kann Jesus bitten, mich von meiner Blindheit zu befreien.
Fassen wir Mut in dieser Zeit. „Du bist nicht allein“ bekommt in dieser Zeit eine besondere Bedeutung, gerade wenn wir auf direkte persönliche Kontakte verzichten müssen. Öffnen wir unsere Ohren und Herzen für Menschen in Einsamkeit und Not. Öffnen wir uns für Gott, der das Heil und Ganzsein aller Menschen will und der uns Freude schenken kann, besonders in der Begegnung mit ihm in seinem Wort. Heute ist als Antwortpsalm Psalm 23 vorgesehen. Beten wir ihn im Blick auf alle Menschen, die jetzt Orientierung, Ruhe und Freude suchen. Dieser Psalm ist vielen von uns sehr vertraut, daher lade ich ein, ihn neu kennenzulernen in der Übersetzung aus der Bibel in gerechter Sprache, die sich nahe am ursprünglichen Text orientiert, auf Geschlechtergerechtigkeit achtet und den jüdisch-christlichen Dialog fördert. Lassen wir uns ein auf diesen Text, der uns Zuversicht und Freude schenken kann. Laetare muss nicht ausfallen, wenn ich mich öffne und beschenken lasse. Amen.
Adonaj* weidet mich, mir fehlt es an nichts.
Auf grüner Wiese lässt Gott mich lagern,
zu Wassern der Ruhe leitet Gott mich sanft.
Gott lässt meine Lebendigkeit zurückkehren.
Gott führt mich auf gerechten Spuren –
so liegt es im Namen Gottes.
Wenn Finsternis tief meinen Weg umgibt,
fürchte ich nichts Böses.
Ja, du bist bei mir,
dein Stab und deine Stütze – sie lassen mich aufatmen.
Du bereitest einen Tisch vor mir,
direkt vor denen, die mich bedrängen.
Mit Öl salbst du mein Haupt.
Mein Becher fließt über.
Nur Gutes und Freundlichkeit
werden mir alle Tage meines Lebens folgen,
und ich werde zurückkehren in das Haus Adonajs
für die Dauer meines Lebens.
(*Adonaj ist eine mögliche Wiedergabe des Tetragramms JHWH, des Gottesnamens, der im Judentum bis heute nicht ausgesprochen wird. In der Einheitsübersetzung 2016 wird JHWH mit HERR wiedergegeben).
Elisabeth Fritzl