In die Tiefe gehen
Erinnern Sie sich noch an die Frau Holle? Dieses Märchen der Gebrüder Grimm erzählt von der Goldmarie und der Pechmarie, die in den Brunnen springen um die verlorene Spindel zu bekommen und dabei in der Tiefe in eine jenseitige, paradiesischen Welt eintauchen und der Frau Holle begegnen, einer Gestalt hinter der sich eine alte Muttergöttin verbirgt, die das Gute belohnt und das Böse bestraft. In der Tiefe des Brunnen finden sie ihre Lebensbestimmung.
Eine andere Brunnengeschichte erzählt der Theologe Hubertus Halbfas in seiner Gebetsschule. Sie heißt: Der Sprung in den Brunnen. Drei Brüder machen sich auf Initiative des Jüngsten auf den Weg zu einem Brunnen. Der Jüngste bittet den Ältesten sich in den Brunnen hinab zu lassen. Aber der kommt nicht weit, er schreit und tobt schon bei den ersten Metern und wird schnell wieder an die Oberfläche gezogen. Auch der zweite Bruder kommt nicht viel weiter, nicht einmal bis zur Hälfte des Brunnenschachtes und schreit wie der erste: Ich sterbe, ich sterbe! „Dann kam die Reihe an den Jüngsten. Er sagte: ´Hört zu! Wieviel ich auch weinen und schreien werde, zieht mich nicht hoch. Lasst mich hinunter, bis ihr fühlt, dass der Strick leicht geworden ist.` … Die Brüder baten ihn, er möge sie doch nicht verlassen, aber er wollte nicht auf sie hören. Da banden sie ihn und ließen ihn hinunter.“ Diese Geschichte ist nicht irgendeine Geschichte, sie will unsere Geschichte werden, die dazu führt, dass wir uns auf unsere eigene Tiefe, auf unseren Seelengrund einlassen. Dazu ist es nötig alles Oberflächliche zu lassen, in die Stille zu gehen und das Alleinsein auszuhalten.
Genau dieselbe Intention verfolgt das heutige Evangelium. Es spielt nicht zufällig am Brunnen. Aus der alltäglichen Bitte um Wasser entspinnt sich ein Gespräch zwischen der Samariterin und Jesu, in dem Jesus die Frau immer tiefer hineinführt in ihre eigene, tiefe Lebenswirklichkeit. Er fragt nach ihrem Mann und deckt ihre zerbrochenen Beziehungen auf. Sie fragt nach dem richtigen Gebetsort, nach der richtigen Religion und Jesus führt sie auch in dieser Frage in die Tiefe. Es kommt nicht auf Äußerlichkeiten an, nicht auf Tempel oder Kirchen sondern im Geist und in der Wahrheit ist anzubeten. Die Frau erahnt, dass sie dem Christus, dem Messias, dem göttlichen Retter begegnet ist und das zieht Kreise. Auch die anderen Samariter finden zum Glauben an Jesus Christus und bekennen ihn als den Retter der Welt.
Die Fastenzeit – und vielleicht jetzt auch die äußeren Umstände – wollen uns in die Tiefe führen, damit wir unsere Taufe vertiefen und erneuern. Wir sind eingetaucht in das Leben des dreieinigen Gottes und singen dankbar: „Alle meine Quellen entspringen in dir, in dir mein guter Gott.“ (GL 891) AMEN!
Wolfgang Schwarz