Aufbruch und Verheißung
Aufbruch und Verheißung begegnen uns heute in der Lesung aus dem Ersten Testament. Abram soll losgehen aus seinem Land, seiner Verwandtschaft und seinem Vaterhaus. Gott nennt keinen Grund dafür, aber er verheißt Abram, dass er ein ihn zu einem großen Volk machen und ihn segnen wird. Abram glaubt. Wider alle Vernunft: er und Sarai sind kinderlos und alt. Abram glaubt und vertraut, und er geht los.
Die ganze Bibel ist voll von Migrationserzählungen, und auch heute bedeutet Christ/in sein nicht, es sich irgendwo gemütlich zu machen. Wir hören die Erzählung von Aufbruch und Verheißung am Beginn der Fastenzeit: Jahr für Jahr bekommen wir diese Zeit geschenkt, um unsere Beziehungen auf den Prüfstand zu stellen. Die Beziehung zu mir selbst, zu meinen Mitmenschen und zu Gott. Ich frage mich: bin auch ich bereit, aufzubrechen? Glaube ich an die Verheißung Gottes, dass jede/r von uns zum Segen werden kann? Glaube und Vertrauen brauchen Übung. Deshalb bin ich dankbar für diese Zeit. Ich nehme mir Zeit, meine Gebetspraxis und mein Glaubens – Leben zu hinterfragen. Durch den Verzicht auf Alkohol, Fleisch und das Reden über andere Menschen versuche ich mich neu zu verankern und meinen Beitrag zu einem besseren Klima zu leisten – sowohl zum Klima der Erde als auch zum Klima um mich herum.
Wir hören die Erzählung von Aufbruch und Verheißung heute am Weltfrauentag. In der Lesung und im Evangelium kommen heute explizit ausschließlich Männer vor. Ich frage mich, wie Sarai auf den plötzlichen Aufbruch reagiert hat, ich frage mich, wie eine Frau die Geschehnisse am Berg Tabor erlebt hätte. Und ich frage mich, warum es 2020 noch immer etwas Besonderes ist, dass ich als Frau das Wort Gottes auslegen darf und wie lange es noch dauern wird, bis Gleichberechtigung in Fragen des Zugangs zu allen Diensten in unserer Kirche kein frommer Wunsch mehr ist.
Wir hören diese Erzählung in einer Zeit, in der viele Menschen aufgebrochen sind. Sie haben sich auf den Weg gemacht nicht aufgrund einer Verheißung, sondern sie sind auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Sie haben Hoffnung auf ein Leben in Frieden, aber vielleicht haben sie sogar diese Hoffnung schon aufgegeben. Wir sehen Bilder von verzweifelten Männern, Frauen und Kindern, wir hören Aussprüche von Politikern, die mich nicht an ihren christlichen Werten sondern an ihrer Menschlichkeit zweifeln lassen. Und ich frage mich: was kann ich tun außer in sozialen Netzwerken mit vorgeschlagenen Hashtags zu posten? Auf diese Frage finde ich nur schwer eine Antwort. Wie kann ich, wie können wir zum Segen für geflüchtete Menschen werden? Ich kann versuchen, auf Gott zu vertrauen und hoffen, dass es letztlich gut wird. Und selbst kann ich mich einlassen auf Menschen, die aus einer anderen Kultur kommen, die bei uns Fuß fassen und Heimat finden möchte. Ich kann Zivilcourage beweisen und nicht nur im Netz, sondern ganz persönlich die Kommunikation suchen mit all jenen, die befürchten, dass wir das nicht schaffen.
Wir leben in Österreich nicht im gelobten Land, aber es kommt dem ziemlich nahe, wie ich finde. Wie schön finden wir Bibelstellen, wie z.B. Apg 2, wo es heißt: „sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte“. Vielleicht sind auch Sie berührt von der Aussage des großen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal „Das Evangelium hat uns radikalisiert, ich bin durch das Neue Testament zum Marxisten geworden.“ Wie finden wir wieder zur Wurzel unseres Glaubens zurück?
Für mich kann Aufbruch hier bedeuten, dass ich bereit bin, etwas von dem Überfluss abzugeben, den ich habe. Mich nicht zu fürchten, dass es mir schlechter gehen könnte, wenn andere Menschen genug zum Überleben bekommen. So kann ich zum Segen werden und auf Gottes Verheißung vertrauen. Auch dann, wenn ich nicht genau weiß, wohin der Weg geht, doch ich weiß: Gott geht mit. Amen.
Elisabeth Fritzl