Sie waren uns gegenüber ungewöhnlich freundlich
„Sie waren uns gegenüber ungewöhnlich freundlich.“ Ich musste schmunzeln, als ich das Motto der heurigen Gebetswoche für die Einheit der Christ/innen zum ersten Mal hörte. Ich bereitete mich im Herbst auf meinen Aufenthalt in Brasilien vor. Brasilianer/innen sagt man ja diese ungewöhnlich Freundlichkeit auch nach – und ich kann nur sagen, dass das stimmt.
Allerdings musste ich keine gefährliche Schiffsreise hinter mich bringen, sondern konnte bequem mit dem Flugzeug und Bus anreisen. Ich kam auch nicht als Flüchtling dort an, sondern wurde freudig erwartet und herzlich aufgenommen.
In der ungewöhnlich langen Lesung haben wir von Paulus und seinen Mitreisenden gehört. Er ist unterwegs nach Rom, weil er dort vor den Kaiser treten will, um seine Unschuld zu beweisen. Davon lesen wir in der Apostelgeschichte nichts mehr, denn für den Verfasser ist nicht das Schicksal des Paulus zentral, sondern das Schicksal der frohen Botschaft.
Jedenfalls ist Paulus lange auf dem Schiff unterwegs, immer wieder kommt er in gefährliche Situationen, solange, bis das Schiff auf der Insel Malta strandet. Dort werden sie „ungewöhnlich freundlich“ aufgenommen. Doch als plötzlich eine Schlange aus dem Feuer kommt, sind die Menschen der Meinung, dass Paulus ein Mörder sein müsse, der seiner gerechten Strafe nicht entkommen kann. Als ihm jedoch nichts geschieht, ändern sie rasch ihre Meinung und halten ihn für einen Gott.
Hier finden wir alte griechische Vorstellungen. Die Errettung aus der Seenot gilt als göttlicher Erweis für die Unschuld des Paulus.
Heute brauchen wir solche Beweise nicht mehr; wenn ein Unglück geschieht, können wir meist schnell bestimmen, ob es sich um menschliches Versagen, ein technisches Gebrechen oder einen Anschlag handelt. Doch wie denken wir heute über die Menschen, die bei uns stranden? Die sogenannte „Flüchtlingswelle“ im Jahr 2015 hat da einiges gezeigt. Einerseits große Solidarität und Hilfsbereitschaft, andererseits unglaublichen Hass, ausgelöst durch Ängste, die meist nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Immer noch sterben jedes Jahr Tausende Menschen im Mittelmeer, Seenot-Rettung ist teilweise zu einem Unwort in unserer Gesellschaft geworden. Die Evangelische Kirche Deutschland plant, ein Schiff zu kaufen – ausschließlich aus Spenden finanziert - und zu Ostern könnte dieses schon einsatzbereit sein. Zur Seenot-Rettung gibt es aus Österreich viele kritische Stimmen, aber ich denke, dass es ja eher um die Menschen geht, die bereits hier sind; um Menschen, die einen weiten und gefährlichen Weg auf sich genommen haben auf der Suche nach einem Leben in Würde und Frieden.
Wenn wir in die Bibel schauen, finden wir auch dort viele Migrationserzählungen. Das beginnt im Ersten Testament mit Abraham, der seine Heimat verlässt; wir kennen den Exodus, das Babylonische Exil; Gott ist immer mit seinem Volk unterwegs. Jesus musste ins Exil nach Ägypten, Paulus ist auf der Flucht… ganz zu Beginn hießen die Christ/innen „die Menschen vom Weg“.
Christ/in zu sein ist in erster Linie eine Praxis, keine Theorie. Da gibt es die Praxis des Glaubens an und Vertrauens auf Gott, und darüber hinaus bzw. davon getragen die Praxis unseres Lebens. Die Grenze zwischen moralisch und moralinsauer ist eine sehr schmale, dessen bin ich mir bewusst. Aber können wir die Fremden einfach ablehnen? Oder erinnern wir uns an das Wort Jesu „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen?“.
Ungewöhnlich freundlich. Wäre es nicht schön, wenn andere das über uns sagen könnten? Freundlichkeit schaffen wir in der Begegnung. Fremdes kann uns Angst machen, das ist menschlich und ein guter Schutzmechanismus. Aber wenn wir sie erst einmal kennengelernt haben, die Anderen, dann sind sie nicht mehr fremd.
Ein konkretes Beispiel möchte ich mit Euch teilen:
Letzte Woche waren Firmkandidat/innen einiger Grazer Pfarren zu Besuch im islamischen Kulturzentrum. Gerade jetzt, wenn wir diesen Gottesdienst in ökumenischer Verbundenheit feiern, findet dort ein Informationsabend statt, bei dem es darum geht, verschiedensten Vorwürfen von Hasspredigten, Salafismus und politischem Islam zu begegnen. Die Firmkandidat/innen und die erwachsenen Begleitpersonen wurden ungewöhnlich freundlich vom Imam aufgenommen. Er erklärte mit großer Freude vieles zum Thema Islam und Gebet. Was mich dabei besonders beeindruckt hat, war sein großes Wissen über den christlichen Glauben, weil er immer wieder Vergleiche brachte.
Wagen auch wir Schritte der Begegnung, lassen wir uns ein, setzen wir uns aus. Und setzen wir uns, jede/r von uns, aber auch wir gemeinsam dafür ein, dass „ungewöhnlich freundlich“ nicht nur ein schönes Motto für einen Gottesdienst, sondern immer mehr Wirklichkeit wird.
Amen.
Elisabeth Fritzl