Tagung Hochaltrigsein als Herausforderung 2014: "Leben mit Demenz"
Wegen des wachsenden Anteils alter Menschen wird sich die Zahl der Demenzkranken in Österreich bis zum Jahr 2050 von derzeit 100.000 auf bis zu 270.000 erhöhen. Die Pflege betroffener Angehöriger ist vor allem bei fortgeschrittener Krankheit eine enorme Herausforderung. Entsprechend groß war mit mehr als 210 Interessierten der Andrang bei der Hochaltrigentagung, die der „Arbeitskreis Umfassender Schutz des Lebens – aktion leben“ zum Thema „Leben mit Demenz“ veranstaltete und die von Wolfgang Sotill behutsam moderiert wurde.
Emotionale „Innensichten“ als betroffener Angehöriger bot der Leiter der Telefonseelsorge, Gerhard Baldauf. Bei ihm und seiner Schwester klingelten die Alarmglocken, als die anfangs als „halt vergesslich“ eingestufte Mutter ihr Schlafzimmer suchte oder immer wieder Butter einkaufte, obwohl der Kühlschrank damit gefüllt war. Zwischendurch fiel immer wieder der Satz „Ich schäm‘ mich so“. Dieses Schamgefühl führt bei Menschen, die an Demenz erkrankt sind, häufig zu sozialer Einsamkeit, weil sie Angst haben, andere könnten merken, was mit ihnen los ist. Für Baldauf ist vor allem wichtig, die Würde der Erkrankten zu wahren, ihnen mit Respekt zu begegnen. Angehörigen helfe es, im Gespräch zu bleiben und sich externe Unterstützung zu suchen. Tageszentren, die Hauskrankenpflege oder andere mobile Dienste können wertvolle Entlastung bringen.
Die Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapeutische Medizin, Brigitte Fuchs-Nieder, plädiert für eine möglichst frühzeitige Diagnose. Zwar sei die Alzheimerkrankheit als die häufigste Form der Demenz nicht heilbar, aber die Diagnose führe bei entsprechender Information der Angehörigen zu mehr Verständnis gegenüber dem veränderten Verhalten des Erkrankten. Denn die Veränderung eines Menschen (Unruhe, Misstrauen, Angst, Gereiztheit bis hin zu Aggressivität, Feindseligkeit …) sei erfahrungsgemäß für Angehörige die größte Belastung. Zudem könnten Medikamente und Therapien die Krankheit verzögern und die Schwere der Probleme mindern. Als besonders wichtig erachtet Fuchs-Nieder die Angehörigenarbeit wie Information, Schulung, Beratung und Unterstützung im täglichen Leben.
Dass jedes Verhalten eines alten Menschen einen Grund hat, ist die Überzeugung von Roswitha M. Windisch-Schnattler. Die diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester und Lebensberaterin sieht in der Validation einen besonderen Zugang zu Demenzkranken. Sie geht davon aus, dass alte, desorientierte Menschen die unerledigten Aufgaben ihres Lebens noch aufarbeiten wollen. Man müsse daher mit Einfühlungsvermögen, Wertschätzung und Respekt übergangene Gefühle und nicht bewältigte Lebenssituationen aufspüren.
Reiche Erfahrung mit Demenzkranken hat auch die Seelsorgerin in den Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt Graz, Elisabeth Stepanek. Sie weiß, dass Demenzbetroffene als normale Menschen behandelt und nicht bemitleidet werden wollen. „Alzheimerbetroffene leben vor allem auf der Gefühlsebene, sie nehmen mit allen Sinnen wahr, sie wollen Wärme spüren, sie brauchen Schutz und Geborgenheit, auch Gottesnähe.“ Sich den Betroffenen besonders zuzuwenden, sei auch eine zentrale Aufgabe der Kirche: „Wir sind als Kirche eine Erinnerungsgemeinschaft. In jedem Gottesdienst erinnern wir uns an das Leben und die Auferstehung Jesu. Wenn wir uns dieser Menschen nicht annehmen, die mit Erinnerungsverlust zu kämpfen haben, geht ein wesentlicher Teil unseres Auftrags verloren.“
Gerti Lambauer, Sonntagsblatt
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