Vertrauen als Schlüssel zur Hoffnung
Die innere und äußere Not der Menschen ist angesichts der Pandemie größer geworden. Unabhängig von Alter, Geschlecht, ob im Berufs- oder Pensionsleben, arbeitslos, ob im Kindergarten, ob in der Schule oder im Studium – die Menschen sind in vielfältiger und individueller Weise davon betroffen.
Einsamkeit, Sorge um den Arbeitsplatz, Angst vor Ansteckung, eingeschränktes Alltagsleben, usw. sind in den letzten Monaten vermehrt Ursachen für den Anstieg psychischer Probleme - Zukunftsängste, Schlafprobleme und finanzielle Sorgen können schwer belasten. Die Verunsicherung unter den Menschen ist groß, die Tatsache, nicht „normal“ Leben zu können, macht vielen Menschen – ob jung oder alt – zu schaffen.
Nun wurde der Lockdown verlängert – eine der Maßnahmen, um doch ehest möglich wieder einen „Normalzustand“ erreichen zu können.
Sehr geehrter Herr Bischof, was können Ihrer Meinung nach Menschen, die sehr unter der aktuellen Situation leiden, tun?
Ich würde sagen: Vertrauen üben, Vertrauen leben. Wenn ich in die Bibel, dann wird dort immer wieder deutlich, dass dort, wo Vertrauen gelebt wird, egal, wie die Umstände rundherum sind, Schritte in die Zukunft und damit Hoffnung und Zuversicht möglich werden. Das ist auch meine Art, mit dieser Situation umzugehen. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist. Die Bibel ist voll von Erzählungen, dass Gott die Menschen nicht allein lässt, immer wieder auf sie zugeht. In vielen Erzählungen wird auch deutlich, dass Menschen sich in Krisensituationen vertiefter wieder ihrer Beziehung zu Gott bewusst geworden sind und diese gelebt haben. Und dadurch wurde es ermöglicht, wieder Schritte zu setzen – auch wenn ich nicht alles in der Hand habe oder auch wenn ich vielleicht nur den nächsten Schritt momentan bewusst setzen kann.
Wie könnte ein haltgebendes Miteinander aussehen?
Es gibt verschiedenste Möglichkeiten. Wenn ich durch die Stadt gehe, den Rosenkranz betend, bleibe ich manchmal stehen, einfach bewusst einmal die Wirklichkeit um mich herum anschauend. Ich glaube, dass alles bei Weitem nicht so schlecht ist, wie wir manchmal glauben, es wahrnehmen zu müssen.
Ich bin in den meisten Fällen immer verbunden mit jemandem - ob das jetzt real oder sagen wir analog oder virtuell ist. Es gibt unterschiedlichste Möglichkeiten, mit anderen unterwegs zu sein. Ich bin als Mensch – wie heißt das so schön – ein Homo socialis. Ich brauche mir nicht einbilden, dass ich eine Insel bin. Auch unter den gegebenen Umständen, auch wenn sie sehr eingeschränkt sind, gibt es Möglichkeiten… Miteinander spazieren gehen, anrufen, Briefe schreiben. Ja wieso denn nicht? Oder ein E-Mail. Was zählt ist, in Kontakt zu bleiben. Und zuletzt ist auch das Gebet etwas, wo ich das Miteinander – in diesem Fall mit Gott – lebe und suche. Es gibt vieles, mit dem ich ein Stück weit – auch wenn ich alleine Initiativen setze – das Miteinander fördere.
Sehen Sie im Leid, welches Menschen durch die Pandemie erfahren, in irgendeiner Weise einen Sinn?
Ich stelle mir öfter diese Frage. Es ist natürlich berechtigt, nach dem Warum zu fragen. Aber wäre es nicht besser, nach dem Wozu zu fragen? Warum ist für mich eher retrospektiv, so unter dem Motto: Wenn vor 20 Jahren irgendetwas anders gelaufen wäre, dann wäre es heute anders. Das bringt mir nichts, selbst wenn ich es wüsste und selbst wenn es so wäre bin ich trotzdem heute da.
Wir haben immer wieder mit der Frage des „Wozu?“ umzugehen. Und da ist für mich schon die Frage: Wozu gibt es diese Situationen?
Ich möchte das Buch „Wage zu träumen“ von Papst Franziskus zum Anlass nehmen zu fragen: Ist in meinem Leben wirklich alles so in Ordnung? Wollen wir wirklich alle in den Stress zurück, den wir dauernd beklagen? Was ist die Normalität, von der wir dauernd reden? Einfach, dass ich die Umwelt wieder so belaste, wie ich es gewohnt war? Was stellen wir uns darunter vor? Ist nicht eine Lebensstiländerung gefragt? Ob ich das dann schaffe, ist wieder eine andere Frage. Aber zumindest nutze ich die Gelegenheit, mir selber das Innehalten zu gönnen, um wieder eine neue Perspektive zu bekommen. Auch zu sehen, dass wir in Österreich von Not weit entfernt sind. Wir erleben ein krisenhaftes Phänomen für die ganze Welt. Eine Krise im Sinne der ursprünglichen griechischen Bedeutung heißt, dass etwas herauskommt, das wesentlich ist.
Mensch, wozu willst du leben und wozu bist du da? Diese Frage wird derzeit wieder neu und vertieft gestellt. Ich denke, wenn die ganze Wissenschaft weltweit sich müht, binnen kürzester Zeit einen Impfstoff herzustellen, dann heißt das etwas: Dass sich die Menschheit müht, Leben zu ermöglichen. Dem gegenüber sagt gleichzeitig der Verfassungsgerichtshof, Leben ist eigentlich nicht wichtig (Urteil zur Sterbehilfe). Das passt für mich einfach nicht zusammen. Wir sind scheinbar nicht gewohnt, dass nicht immer alles „happy“ ist. Wenn ich das Leben will, dann bitteschön konsequent durchbuchstabiert auf allen Ebenen.
Wie geht es Ihnen selbst in dieser Situation und was hat sich für Sie persönlich dadurch verändert?
(lacht) Ziemlich viel! Also mir persönlich, wenn ich das Jetzt annehme wie es ist, geht es gut. Es gibt laufend Planungen, die durcheinandergeworfen werden, doch das ist ja inzwischen fast normal. Aber stelle ich mich genau dem, das eben jetzt anderes notwendig und auch möglich ist als vielleicht zu anderen Zeiten? Nehme ich die Situation an, wie sie ist? Ob es mir passt oder nicht, ob ich mit den Maßnahmen einverstanden bin oder nicht? Ich bin nun praktisch nicht mehr unterwegs. Der wichtigste Dienst des Bischofs ist, bei den Leuten zu sein – das geht momentan nicht real. Also rufe ich jeden Tag Priester an, Diakone, Pastoralreferenten – Leute, denen ich nahe sein möchte. Das ist eben ein anderes Umgehen damit. Ich feiere regelmäßig die Messe mit einer kleinen Gemeinschaft, die wir live ins Internet streamen. Das ist neu, weil ich sonst „herumgereicht“ werde, vor allem sonntags mit größeren Gottesdiensten. Das lässt mich daran erinnern, dass ich einmal Pfarrer mit einer Gemeinschaft war (lacht). Das ist auch ein Stück weit entlastend. Es gibt einen regelmäßigeren Tagesablauf – Gott sei Dank, weil ich eben nicht so viel unterwegs bin. Und gleichzeitig weiß ich um die Herausforderungen anderer, die daheim Lehrer/Lehrerin sein müssen, den Haushalt schupfen, im homeoffice arbeiten… Alle Achtung vor den Menschen, die diese Herausforderungen, in denen sie stehen, jetzt annehmen und daraus das Beste machen.
In gewisser Weise reduziert sich alles auf die Frage: Kannst du, Mensch, im Heute leben? Das ist interessant und nicht das, was du gerne hättest. Ich glaube, da haben wir ein wenig die Einfachheit des Lebens verloren. Es ist ja alles schon durchgeplant, wenn ich so meinen Kalender vor Corona anschaue. Wo lebst du dann eigentlich noch? Ich habe die Chance, jetzt zu leben. Es sind zwar enge Grenzen, die gesteckt sind, aber innerhalb derer können wir immer noch viel nutzen.
Worauf freuen Sie sich besonders, wenn diese Zeit überstanden ist
(lacht) Ich freue mich einfach, wenn wir wieder miteinander in aller Einfachheit, Ehrlichkeit, Schönheit feiern können. Auf das freue ich mich wirklich! Weil das der Halt ist von Kirche.
Ich freue mich genauso, dass man sich wieder mal die Hand geben darf (lacht). Wenn ich sage, dass wir auf einander verwiesen sind und miteinander umgehen, dann gehört das auch dazu. Das sind nur zwei Kleinigkeiten, aber darauf freue ich mich wirklich.
Ich freue mich auch, dass wir vielleicht – ich habe es im vorigen Jahr in einem Hirtenbrief geschrieben – entdeckt haben, das Kirche mehr ist als das, wie wir Kirche immer wieder verstehen oder versuchen zu verstehen (nämlich nur am Sonntag zusammenzukommen und Messe feiern). Ich denke an die Vielen, die sich engagieren in der Krankenhausseelsorge, in der Pflegeheimseelsorge, die ja wirklich vor Ort sind. Ich denke an die Vielen, die in den caritativen Einrichtungen tätig sind oder in der Nachbarschaftshilfe verschiedenste Dinge machen - das ist genauso Leben von Kirche. Ich denke an die Vielen, die versuchen, ein Stück weit mit anderen zu leben, so gut es geht, die ReligionslehrerInnen, KindergartenpädagogInnen. Die ReligionslehrerInnen, denke ich, werden von Gott erzählen, dass er da ist in dieser herausfordernden Zeit.
Aber nichts kann das reale Miteinander ersetzen. Vielleicht wächst das nun, vielleicht kriegen wir eine neue Sensibilität fürs Miteinander, weil es eben die längste Zeit nicht selbstverständlich war. Vielleicht lernen wir wieder, aufmerksamer miteinander umzugehen, wirklich einander zuzuhören, das ist momentan total weg. Derzeit hat jeder hat eine Meinung und die wird mit aller Härte vorgetragen. Das ist brutal, was da im Menschen drinnen steckt und wie miteinander umgegangen wird. Auch mit dieser Situation müssen wir umgehen lernen – unter dem Motto „Not sieht Not“ und dürfen nicht bei uns selber stehen bleiben. Ein anderes Phänomen ist, dass die Kreise um einen selbst noch kleiner werden, wenn es mir dreckig geht. Wenn ich denke, wie elendiglich es Menschen auf der Flucht geht oder wie Europa sich momentan benimmt an seinen Außengrenzen oder innerhalb der Grenzen, wenn man an Griechenland denkt, an Bosnien – das ist schauderbar! Tragisch, dass wir einfach zulassen, dass es so ist. Und trotzdem merke ich, eigentlich sind wir momentan fast nur mit uns selber beschäftigt. Das gehört auch wieder aufgebrochen. Ich hoffe, dass wir bald wieder die anderen wieder mehr im Blick haben.
Wie sehen Sie der Zukunft entgegen?
Voll Zuversicht, weil Gott mit uns ist. So einfach diese Antwort, so einfach ist es. In Paulus Römerbrief steht, was kann uns von der Liebe Christi scheiden könne. Weder Tod noch Leben. Glaube ich das jetzt oder glaube ich das nicht? In diesem Sinne tue ich mir mit Leuten schwer, die vorgeben, sie versuchen Jesus Christus nachzufolgen, aber das Vertrauen nicht haben, weil sie sich das Leben herrichten – so hat das zu sein und dieses und jenes. Vertrauen wir also wirklich, dass er da ist – oder nicht?
Wir sind sehr geprägt vom europäischen „Wir schaffen es!“ im Sinne von: Auf unsere eigenen Kräfte vertrauend, bringen wir etwas weiter. Ich bin dazu da, das andere, die Hoffnung und Zuversicht, zu leben und hochzuhalten.
Herzlichen Dank für das Gespräch, sehr geehrter Herr Bischof!
Interview: Margit Huber